3.märz 1972 Mord an Thomas Weissbecker / Dritter geplanter Mord in 8 Monaten - demoplakat berlin 3.märz 1972
Im Juli 1971 gelang Tommy Weissbecker zusammen mit Georg von Rauch und Bommi Baumann im Moabiter Kriminalgericht eine formidable Befreiungsaktion. Sie sollten sich dort wegen einer handfesten Abreibung verantworten, die sie einem reaktionären Reporter verpaßt hatten. Anträge auf Haftverschonung waren für Weissbecker und Baumann erfolgreich, von Rauch sollte aber wieder zurück in den Knast. Nach der Verkündung dieser Entscheidung verließen sofort zwei Angeklagte die Anklagebank und mischten sich mit lautem Glücksgeschrei unter die Zuschauer. Als die Justizwachtmeister dann Georg von Rauch abführen wollten, gab dieser sich lachend als Thomas Weissbecker zu erkennen. Er und von Rauch hatten sich ihre Ähnlichkeit, verstärkt durch einen langen Bart und lange Locken zunutze gemacht. Außerdem hatte sich Weissbecker am Ende der Verhandlung auch noch von Rauchs Brille aufgesetzt. Und endlich konnte sogar auch Weissbecker in dem allgemeinen Chaos aus dem Gerichtssaal entkommen. Doch Georg von Rauch und Tommy Weissbecker überlebten die mit diesem komödiantischen Taschenspielertrick durchgeführte Befreiungsaktion noch nicht einmal um ein Jahr.
Nach der Erschießung Georg von Rauchs am 3. Dezember 1971 durch die Polizei ereilte Tommy Weissbecker das gleiche Schicksal ein Vierteljahr später. Obwohl er bereits mehrere Wochen beobachtet und abgehört worden war, wurde er am 2. März 1972 in Augsburg von einem Beamten der Sonderkommission des bayrischen Landeskriminalamtes erschossen. Nach Polizeiangaben hätte er bei einem Festnahmeversuch seine Waffe sofort auf die Polizeibeamten gerichtet.
Das mörderische Geschehen spielte sich im Rahmen der Großfahndungen nach Mitgliedern der sogenannten Baader-Meinhof Gruppe ab, die von der Hetze der Springer-Zeitungen begleitet wurden. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Erschießung Weissbeckers muß das Plakat (vom 3. März 1972, A2, schwarz-weiß) entstanden sein. In der Fotomontage von Jürgen Holtfreter sind von rechts nach links Axel Cäsar Springer, Bundesinnenminister Genscher und der Westberliner Innensenator Neubauer zu sehen. Die Wirkung ihrer einmontierten Pistolen wird durch ein überdimensioniertes Zielfernrohrgewehr verstärkt, welches gleichfalls auf die Betrachter gerichtet ist. Diese Person sieht wie Franz-Josef Strauß aus, der aber nicht ausdrücklich genannt wird. Das Plakatmotiv macht unmißverständlich klar, von wem die tödliche Gewalt ausgeht. Im Stil einer in den 20er Jahren an eine Hauswand gepinselten Parole oder einer altertümlichen Kinowerbung wird »Schluß mit dem Terror« dieser ultrarealistisch fotomontierten Bande gefordert. Die Informationen unter dem Bild sind - typisch für die Zeit Anfang der 70er Jahre - mühsam mit Letraset-Buchstaben aufgerubbelt worden.
Nachdem es noch in der Nacht nach dem Tod von Tommy Weissbecker einen Bombenanschlag auf das Landeskriminalamt in der Berliner Gothaer Straße gegeben hatte, fand in den Abendstunden des 3. März ab dem Amtsgericht Charlottenburg eine vom Sozialistischen Zentrum in Moabit angemeldete Demonstration statt, an der sich 2 000 Leute beteiligten. Dabei waren Sprechchöre wie »Mörder, Mörder« und »Polizei, SA, SS« zu hören. Nach der Abschlußkundgebung kam es - so die Springer-Presse - zu »Zusammenstößen« mit der Polizei, bevor sich ein Teil der Demonstranten zu einem Teach-In in die Technische Universität zurückzog.
Die Demonstration fiel in eine Zeit, in der der Polizei, so der BKA-Kommissar Dieter Schenk in einer 1998 publizierten Biographie über den ehemaligen BKA-Chef Horst Herold, »aus vermeintlicher und tatsächlicher Bedrohung die Waffe locker« saß. Schenk nimmt Bezug auf die Erschießung des RAF-Mitgliedes Petra Schelm am 16. Juni 1971 in Hamburg und auf die Tötung Georg von Rauchs. Entsprechend wurde Tommy Weissbeckers Tod von seinen Genossen, die ihn aus den Jahren des Westberliner »Blues« kannten, als »dritter geplanter Mord in acht Monaten« bezeichnet.