une service d'anarchafeminist bluecross


deutsch - english - suomi
anarcha
feminismus
free yourself!




BEWAFFNE DEN GEIST!
revolutionier deinen alltag...
carol ehrlich
sozialismus, anarchismus und feminismus
(zuerst veröffentlicht unter "socialism, anarchism and feminism" in research group one report #26/january 1977, vacant loss press - baltimore, maryland, usa)
"du bist eine frau, die in einer kapitalistischen gesellschaft lebt. dein job, die offenen kedite, dein ehemann, die schule deiner kinder, die hausarbeiten, die aufwendungen, um hübsch zu sein und beachtung zu finden, das alles widert dich an! wenn du über diese dinge nachdenkst, was sie miteinander in verbindet und wie sie geändert werden können, wirst du irgendwann unweigerlich auf den 'sozialistischen feminismus' stoßen."1

von den unzähligen vorschlägen, die zur lösung des sexistischen problems gemacht wurden, scheinen viele frauen den sozialistischen feminismus als eine der erfolgversprechendsten lösungen anzusehen. 'sozialismus' (in seiner erstaunlichen vielfalt) übt heute auf viele menschen eine starke wirkung aus. sein programmangebot reicht von der interessenvertretung der arbeitenden bevölkerung und einem durchdachten system revolutionärer theorien bis hin zu den beispielen der industrieländer, die eine andere gesellschaftsstruktur haben als die der usa und ihrer satelitenstaaten.

für viele feministinnen liegt die anziehung des sozialismus in seinem versprechen, die wirtschaftliche ungleichheit zwischen der arbeitendnen frau und dem arbeitenden mann zu beenden. all den frauen, die der meinung sind, daß eine ausschließlich feministische analyse nicht in der lage ist, die bestehenden ungleichheiten der gesellschaft zu erfassen, bietet der sozialismus darüberhinaus eine radikale erweiterung ihrer perspektive.

es gibt gute gründe, warum frauen darüber nachdenken, ob der "feministische sozialismus" als eine politische theorie brauchbar ist. sozialistische feministinnen sind anscheinend sowohl vernünftig als auch radikal. die meisten von ihnen haben eine große abneigung gegen den reformismus und individualismus, wie er sich zunehmend unter einer großen anzahl von frauen breitmacht.

die vorstellung von einer nation von amazonen, die mit ihren heerscharen kampferfüllter frauen dem sonnenuntergang entgegenreiten, ist für uns, die wir nicht so romantisch sind, wirklichkeitsfremd, aber immer noch harmlos. ernster dagegen betrachten wir die religiöse besessenheit, die unter vielen frauen um sich greift und so sonderbare psychische phänomene wie den glauben an die "große göttin", die magie und den hexenkult hervorgebracht hat. als eine feministin, die sich mit der veränderung der gesellschaftsstruktur beschäftigt, finde ich das alles andere als harmlos.
1.beispiel: mehr als vierzehnhundert frauen nahmen im april 1976 in boston an einem spritualistischen kongreß teil, der sich größtenteils mit den erwähnten themen beschäftigte. hätte die energie, die dort in endlosen diskussionen über hexenkult, geisterbeschwörung und menstruationsriten aufgebracht wurdem nicht besser für feministische zwecke verwendet werden können?
2. beispiel: laut berichten in wenigstens einer feministischen zeitung versuchte eine gruppe von hexen, susan saxe durch zauberei aus dem gefängnis zu befreien. (schwebenderweise sollte sie in die freiheit gelangen!) wenn diese frauen wirklich geglaubt haben, susan so befreien zu können, dann zeigt das nur, daß ihnen jedes verständnis der patriarchalischen unterdrückung fehlte. war dagegen nur ein fröhlicher scherz beabsichtigt, warum lacht dann keine!

der reformismus ist eine weitaus größere gefahr für die interessen der frauen als diese bizarren psychospiele. die bezeichnung "reformistisch" kann auf verschiedene weise verwendet werden - jedoch erweist sich der begriff in den meißten fällen weder als zutreffend noch als nützlich. häufig verbirgt sich hinter dem begriff nur der eigene politische puritianismus oder die ablehnung der politischen arbeit an sich. als eine antwort darauf haben einige feministinnen versucht zu zeigen, daß durch eine bestimmte art von reformen eine radikale bewegung geschaffen werden kann.2

aber es gibt auch reformistische strategien, die die energien der frauen sinnlos vergeuden, indem sie trügerische hoffnungen auf eine grundlegende veränderung der gesellschaft wecken, ohne jedoch lösungen anzubieten, die zu deren realisierung führen. das beste beispiel dafür ist die wahlpolitik. sie findet anhängerinnen unter den sozialistinnen, die von der idee des stufenweisen fortschritts überzeugt sind. die anarchistinnen sind da anderer meinung. du kannst dich nicht durch autoritäre methoden befreien. indem du frauen als deine interessenvertreterinnen in die politik wählst, änderst du nichts an den alten korrupten institutionen des patriarchats. du unterliegst weiterhin ihrer "herr"-schaft. wenn also organisationen wie die NOW die frauen aufrufen, ihnen in die revolution zu folgen, indem sie sie wählen, heißt das nichts anderes, als die dinge so zu belassen wie sie sind.

die wahlpolitik ist offensichtlich eine sackgasse; selbst ein großteil nicht-radikaler frauen hat inzwischen gelernt, sie zu umgehen. nicht so offensichtlich dagegen ist das problem des kapitalismus, wie er versteckt hinter der maske feministischer wirtschaftsunternehmen aufblüht.
betrachten wir zum beispiel die feminist economic network (FEN) - eine der vielen feministischen wirtschaftsorganisationen. ursprünglich handelte es sich dabei um eine vereinigung von feministischen alternativ-unternehmen, die durch die entwicklung eigener wirtschaftlicher unabhängigkeit den kapitalismus von innen her auszuhölen versuchten. zugegeben, die idee ist reizvoll. das erste große projekt der FEN startete im april 1976 in detroit. für einen jahresbeitrag von 100 dollar konnten frauen, die mitglieder der FEN waren, in einem privaten swimmingpool baden, drinks in einer privatbar zu sich nehmen und in einigen boutiquen billig einkaufen. ihren angestellten zahlte die FEN 2.50 dollar pro stunde. laura brown, die direktorin nannte das unternehmen den beginn der feministischen wirtschaftsrevolution.3

wenn zwei der alten herrschaftsbeispiele - die wahlpolitik und der kapitalismus - als revolution ausgegeben werden, dann heißt das, daß der begriff revolution völlig auf den kopf gestellt wurde. es ist daher nicht überraschend, daß all den frauen, die weder hexen, reitende amazonen, ministerinnen oder kleinkapitalistinnen sein wollen, sondern denen es um die abschaffung des sexismus durch gesellschaftsveränderung geht, der sozialistische feminismus als eine quelle revolutionärer geistesgesundheit erscheint. der anarchistische feminismus könnte dafür ein bedeutendes theoretisches gerüst bieten. aber die meisten feministinnen haben entweder noch nie etwas von ihm gehört oder sie mißverstehen ihn als eine art weibliche variante der männlichen bombenwerfer. ...

die sozialistischen feministinnen der neuen linken haben auf vielerlei einfallsreiche arten versucht, einen kern an marxistisch-leninistischem gedankengut zu bewahren, zu aktualisieren und mit dem gegenwärtigen radikalen feminismus zu verknüpfen. die resultate sind oft merkwürdig. im juni 1975 hielten die frauen der "neuen amerikanischen bewegung" und frauen anderer autonomer gruppen die erste nationale konferenz zum thema "sozialistischer feminismus" ab. obwohl die konferenz vorher nicht sonderlich angekündigt worden war, kamen über sechzehnhundert frauen, um das wochenende der ersten juliwoche in yellow springs / ohio zu verbringen.

wenn man die reden dieser konferenz und die ausführlichen kommentare über sie liest, die in der feministischen presse veröffentlicht wurden4, dann wird einer keineswegs klar, was die organisatorinnen der konferenz mit dem begriff "sozialistischer feminismus" überhaupt zum ausdruck bringen wollte. die grundsätze, die zu beginn der konferenz aufgestellt wurden, beinhalten unter anderem zwei punkte, die wesentlich mehr mit dem radikalen feminismus gemein hatten als mit der herkömmlichen sozialistischen perspektive. der erste grundsatz besagte: "wir sehen die notwendigkeit und unterstützen die existenz einer autonomen frauenbewegung durch den revolutionären prozeß". im zweiten grundsatz hieß es: "wir teilen die gemeinsame überzeugung, daß alle arten der unterdrückung, ob sie nun die hautfarbe, das geschlecht, die klasse oder die lesbische liebe betreffen, nicht voneinander zu trennen sind. wir die unterdrückten, müssen den kampf um unsere befreiung gemeinsam und gleichzeitig führen". im dritten grundsatz wurde lediglich die feststellung getroffen, "daß der sozialistische feminismus eine strategie zur revolution sei". im vierten grundsatz wurde dazu aufgerufen, "die diskussionen innerhalb der frauenbewegung im geiste des kampfes und der einheit zu führen".

das ist natürlich ein enormes angebot an verlockenden grundsätzen - es findet sich praktisch für jeden geschmack etwas. wenn die sozialistischen feministinnen jedoch mit der aussage, daß die klassenunterdrückung nur eine von vielen arten der unterdrückung sei, in ihrem programm die autonome frauenbewegung als trumpf präsentieren, dann kann nach marxistischem verständnis von sozialismus hier wohl kaum noch die rede sein.

doch ziehen die sozialistischen feministinnen aus den ansatzpunkten, die sie mit den radikalen feministinnen verbinden, keine konsequenzen. wären sie konsequent, würden sie in ihr programm den grundsatz mit aufnehmen, daß nicht-hierarchische strukturen für die feministische bewegung lebenswichtig sind. das ist natürlich eine forderung, die keine orthodoxe sozialistin akzeptieren kann, denn daraus ergibt sich zwangsläufig, daß der radikale feminismus wesentlich besser mit einer art des anarchismus harmoniert als mit den dominierenden erscheinungsformen des sozialismus. diese art ist sozialer anarchismus (auch bekannt unter kommunistischer anarchismus), nicht die individualistischen oder "anarcho-kapitalistischen" spielarten.

feministinnen, denen die anarchistischen grundsätze bekannt sind, wird dies nichts neues sein. das ist aber selten der fall, und daß dem nicht so ist, ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich die vorurteile und zerrbilder betrachtet, die über den anarchismus bestehen. wäre den feministinnen der anarchismus besser bekannt, so würden sie nicht versuchen, im sozialismus ein allheilmittel zur beendigung der sexistischen unterdrückung zu sehen. was die feministinnen lernen müssen ist, gegenüber jeder theorie, die eine struktur von führern und anhängern hervorbringt, skeptisch zu sein. der demokratische anspruch, den diese zentralistischen strukturen für sich erheben, ändert nichts an der tatsache, daß einige frauen mehr zu sagen haben als andere. zu lange haben wir frauen aller hautfarben und gesellschaftsschichten die patriarchalische herrschaft erdulden müssen, als daß wir sie jetzt durch eine neue matriarchalische ersetzen wollen.

einige zeitgenössische anarcha-feministinnen haben auf die enge beziehung zwischen dem sozialen anarchismus und dem radikalen feminismus hingewiesen. lynne farrow bemerkte dazu, daß "der feminismus das praktiziert, was der anarchismus predigt". peggy kornegger ist der meinung, daß "die feministinnen seit jahren unbewußte anarchistinnen gewesen sind - sowohl in der theorie, als auch in der praxis". marian leighton bemerkte zu diesem punkt, daß "der feine unterschied von der radikalen zur anarchistischen feministin nur ein schritt in der theoretischen weiterentwicklung des selbstbewußtseins ist".5

wir errichten die unabhängigkeit
denn sie ist der wachsende prozeß
zur einheit aller lebewesen.

wir verbreiten
spontaneität und kreativität

wir erlernen
die freuden der gleichheit
zwischen uns schwestern
in beziehungen ohne herrschaft

wir zerstören die unterdrückung
in all ihren formen

 

dieses gedicht erschien in der radikalen feministischen zeitschrift "it ain't me babe"6 (nicht mit mir, junge), in deren impressum die forderung zu lesen war: "zerstört jede herrschaft"! obwohl die herausgeberinnen der zeitschrift sich weder als anarchistisch, noch als anarcha-feministisch bezeichnen so ist sie doch ein deutlicher ausdruck der engen beziehung zwischen dem radikalen feminismus und dem anarchistischen feminismus, wie er sich in der neuen frauenbewegung entwickelt hat. die freiheitlichen ansätze der letzten jahre sind durch entwicklungen wie dem "sozialistischen feminismus", der neuen, weiblichen mystik und dem traum vom lesbenstaat gefährdet, da sie in den frauen den wunsch nach neuen herrschaftsformen wecken.

- top


radikaler feminismus und anarchistischer feminismus

es gibt eine reihe allgemeiner punkte, an denen die radikalen feministinnen und die sozial-anarchistischen feministinnen ein gemeinsames interesse haben. dazu gehören: die kontrolle über den eigenen körper, die entwicklung von alternativen zur kleinfamilie und zur heterosexualität, das suchen nach neuen methoden einer befreienden kinderbetreuung, die ökonomische unabhängigkeit, die zerstörung der geschlechtsspezifischen rollen in erziehung, den medien und am arbeitsplatz, die abschaffung repressiver gesetze und die beendigung männlicher autorität und besitzherrschaft über die frau, die beschaffung und bereitstellung von mitteln, die es den frauen ermöglichen, ihre eigenen fähigkeiten zu entwickeln, die überwindung von gefühlsbeziehung mit unterdrückungscharakter.

es gibt noch viele weitere punkte, in denen radikale feministinnen und anarchistische feministinnen miteinander übereinstimmen. aber den anarchistischen feministinnen geht es um weit mehr als um die zerstörung der offensichtlichen, patriarchalischen strukturen innerhalb der gesellschaft. als anarchistinnen streben sie danach, jedes machtverhältnis und jede situation zu beenden, in der menschen andere unterdrücken. im gegensatz zu einigen nicht-anarchistischen, radikalen feministinnen glauben sie nicht, daß die eroberung der macht durch die frauen zu einer gesellschaft ohne zwänge führen würde. und im gegensatz zu den meisten sozialistischen feministinnen glauben sie nicht, daß aus einer massenbewegung unter der führung einer elite irgendetwas gutes entstehen würde. zusammenfassend betrachtet sind die anarchistischen feministinnen der meinung, daß weder der arbeiterstaat, noch das matriarchat der allgemeinen unterdrückung ein ende bereiten wird. im gegensatz zu den meisten sozialistinnen, streben sie nicht nach einer eroberung der macht, sondern ihr ziel ist die abschaffung der macht.

ungeachtet der darüber vorherrschenden gegensätzlichen meinung, sind alle sozial-anarchistinnen ebenfalls sozialistinnen, wenn auch sozialistinnen, die sehr wenig mit den bisher geschilderten sozialistinnen gemein haben. sie sind sozialistinnen, weil sie den wohlstand den händen weniger entreißen wollen, um ihn unter allen mitgliedern der gesellschaft gerecht zu verteilen. und sie sind der meinung, daß die menschen miteinander in gemeinschaftlicher beziehung leben sollten, anstatt als individuen dahinzukümmern.

trotz alledem sind die zentralen themen für die anarchistinnen noch immer die macht und die soziale hierarchie in der gesellschaft. solange noch ein staat existiert - selbst einer der vorgibt die interessen der arbeiterinnen zu vertreten - wird dieser staat danach trachten, die formen seiner herrschaft zu festigen und zu erneuern. weiterhin wird es menschen geben, die in unfreiheit leben. menschen sind nicht frei, nur weil ihre existenz ökonomisch und sozial abgesichert ist. als frei können sie sich erst dann betrachten, wenn sie die macht und die kontrolle über ihr eigenes leben haben, und diese frage ist für frauen von weitaus größerer bedeutung als für die männer. frauen haben zum großteil recht wenig macht über ihr eigenes leben. diese eroberung der selbstständigkeit und der kampf darum ist das hauptziel der anarchistischen feministinnen.

keine macht für niemand und alle macht für jede: alle macht über das eigene leben, aber keine macht über das leben anderer.7

- top


über die praxis

im vorangegangenen haben wir die theorie betrachtet. aber wie steht es mit der praxis? wieder einmal haben die radikalen feministinnen miteinander mehr gemeinsam, als jede der genannten mit den sozialistischen feministinnen.8 beide beschäftigen sich mit dem aufbau alternativer organisationsstrukturen und beide nehmen die 'politik des persönlichen' (politics of the personal) sehr ernst. die sozialistischen feministinnen betrachten weder das eine, noch das andere als besonders wichtig für die revolutionäre praxis.

was aber ist unter der entwicklung alternativer organisationsformen zu verstehen? in der praxis bedeutet es, daß sich frauen für die einrichtung von selbsthilfekliniken einsetzen sollten, anstatt darum zu kämpfen, eine ihrer radikalen in den vorstand des krankenhauses zu bringen. es bedeutet, daß frauen ihre eigenen videogruppen und zeitungen gründen sollten, anstatt ihre leute in die komerziellen medien zu schleusen. es bedeutet, daß frauen sich zu wohnkollektiven zusammenschließen sollten, anstatt in kleinfamilien zu leben. die entwicklung alternativer organisationsformen umfaßt unter anderem zufluchts- und beratungsstellen für vergewaltigte, lebensmittel-kooperativen, elternbeaufsichtigte kinderlatilde;den, freie schulen, druckereikollektive und alternative radiostationen.

viele der radikalen feministinnen haben früh erkannt, daß mit der schaffung alternativer modelle noch sehr wenig erreicht ist, wenn diese in ihren strukturen den kapitalistischen und autoritären organisationsmodellen nachgebildet sind. in selbsterfahrungsgruppen versuchten sie daher, neue methoden zu finden, um zu einem klaren verständnis über sich und die welt zu gelangen. in kleinen führerinnenlosen gruppen strebten sie danach, neue formen der zusammenarbeit und zwischenmenschlichen beziehungen zu entwickeln. das rotationsprinzip bei der aufgabenverteilung erwies sich dabei am vorteilhaftesten, da es das wissen und die fähigkeiten aller mitglieder beinhalte und förderte. das wissen um theorie und aktionsformen des anarchismus wäre ihnen ein versuch "gleichzeitig sich und die gesellschaft zu verändern" eine entscheidende hilfe gewesen; viele fehler und schwierigkeiten hätten dadurch verhindert werden können. ...

- top


situationismus und anarcha-feminismus

die welt und sein leben zu verändern,
ist ein und dieselbe handlung.
12
das persönliche ist das politische.13

anarchistinnen sind den vorwurf gewohnt, daß sie keine theorie für den aufbau einer neuen gesellschaft vorweisen könnten. im besten fall, behaupten die kritiker herablassend, sagt uns der anarchismus, was wir nicht tun sollen. wehre dich gegen bürokratie und hierarchische autorität, treffe deine entscheidungen selbst, bevormunde niemanden. so betrachtet gibt es überhaupt keine anarchistische theorie, sondern nur eine sammlung idealistischer und anachronistischer vorstellungen.

obwohl an dieser kritik mehr als nur ein körnchen wahrheit ist, gibt es eine vielzahl anarchistischer theorien, die einen rahmen für die analyse und veränderung der welt ergeben. eine dieser theorien ist der situationismus.
für uns radikale feministinnen, die diesen "schritt in der theoretischen entwicklung des selbstbewußtseins"14 machen wollen, bietet der situationismus vielleicht eine der größten möglichkeiten.

der wert des situationismus für anarchafeministinnen besteht darin, daß er eine sozialistische analyse der kapitalistischen unterdrückung mit der notwendigkeit verbindet, das gesamte öffentliche private leben zu verändern. trotz der bedeutung einer ökonomischen analyse des systems betonen die anarchistinnen, daß die menschen auch in allen anderen lebensbereichen unterdrückt werden; im gegensatz zu den marxisten bestehen sie darauf, daß die menschen ihre lebensbedingungen selbst ändern müssen - keiner kann ihnen diese arbeit abnehmen, weder eine partei noch eine gewerkschaft.

zwei der grundbegriffe des situationismus sind die ware und das schauspiel. der kapitalismus hat alle zwischenmenschlichen beziehungen vermarktet. die menschen sind nicht nur produzenten und konsumenten im engen wirtschaftlichen sinn, sondern auch ihr tägliches leben wird von ökonomischen gesichtspunkten bestimmt.
alle sozialen beziehungen und strukturen in der gesellschaft sind von der warenwirtschaft festgelegt.15 dadurch sind die menschen nicht nur von ihrer arbeit sondern von ihrem ganzen leben entfremdet. durch den konsum aller sozialen beziehungen ist der mensch zum passiven beobachter seines lebens geworden.

das schauspiel ist die kultur der warenwirtschaft - die bühne ist aufgebaut, die handlung läuft, wir applaudieren, wenn wir uns freuen, wir gähnen, wenn wir uns langweilen, aber wir können die show nicht verlassen, da es keine welt außerhalb des theaters gibt.
seit einiger zeit kann man jedoch an der gesellschaftlichen bühne zerfallserscheinungen beobachten. dadurch haben wir die möglichkeit, außerhalb des theaters eine neue welt aufzubauen, an welcher jede von uns direkt als subjekt und nicht als objekt teilhaben kann. die situationistinnen nennen dies die neuschöpfung des alltags.

wie können wir das alltägliche leben neugestalten? indem wir situationen schaffen, welche die scheinbar natürliche ordnung erschüttern - situationen, die die menschen aus ihren gewohnten denk- und verhaltensweisen herausreißen. nur wenn diese voraussetzung gegeben ist, können wir das herrschende schauspiel und die warenwirtschaft, das heißt den kapitalismus in allen seinen formen, beseitigen, nur dann können wir wirklich frei und unabhängig leben.

die übereinstimmung dieser sozial-anarchistischen theorie mit dem radikalen feminismus ist beeindruckend. die verwendung der begriffe ware und schauspiel ist besonders treffend, wenn man sie auf das leben der frauen bezieht.
tatsächlich haben viele radikale feministinnen ihr leben mit diesen begriffen beschrieben, ohne daß sie den situationismus kannten.16 indem man die situation der frau als einen organischen teil der ganzen gesellschaft auffaßt, erkennt man, daß die unterdrückung der frau teil der allumfassenden unterdrückung des menschen durch die kapitalistische wirtschaft ist. um diese unterdrückung zu spüren, muß die frau nicht einer bestimmten klasse oder schicht angehören. frauen aller schichten und klassen sind objekte der warenwirtschaft, sie alle sind passive zuschauerinnen des schauspiels. natürlich kann man nicht behaupten, daß alle frauen in gleichem maße unterdrückt werden, aber es gibt keine fraum die wirklich frei ist.

- top


frauen und die warenwirtschaft

die frauen treten in der warenwirtschaft sowohl als konsumentinnen als auch als konsumierte auf. als hausfrauen sind sie konsumentinnen von haushaltsartikeln, die sie nicht von ihrem eigenen geld kaufen, da sie es nicht "verdient" haben. dadurch haben sie zwar eine gewisse kaufkraft, aber keinerlei macht über ihre leben. als ledige heterosexuelle frauen kaufen sie dinge, die ihnen auf dem heiratsmarkt einen hohen preis bringen sollen. bei anderen frauen dagegen, zum beispiel lesben, älteren frauen oder den unabhängigen karrieretypen, ist die rolle als weiblicher konsument nicht so fest umrissen.

ist die vorstellung, die die frau als eine passive konsumentin, als ein willenloses objekt der medienmanipulation darstellt, die von schicken männern beschützt über die große einkaufsstraße geführt wird, nicht ein überholtes klischee der frauenbewegung? in der situationistischen analyse ist der konsum von wirtschaftsgütern eng mit dem konsum von ideologien verknüpft. und die schlußfolgerung aus dieser erkenntnis ist, daß wir völlig neue aktionsformen entwickeln müssen, um den sozialisationsprozeß der integrierung und anerkennung zu zerstören. hört auf, nach schuld zu suchen, - übt keine kritik an frauen, die eine allgemeine konsumentenhaltung "gekauft" haben. sie wurde ihnen von frühester kindheit als der einzige weg des lebens anerzogen. kauf dies: es wird dich schön und liebenswert machen. kauf das: es wird deine familie gesund erhalten. fühlen sie sich deprimiert? leisten sie sich einen nachmittag in einem schönheitssalon oder ein neues kleid.

schuldgefühle führen zu trägheit. nur wenn wir versuchen, das alltägliche leben neu zu gestalten, werden wir die sozialen beziehungen verändern. ...

in der warenwirtschaft sind die frauen nicht nur konsumentinnen. sie werden auch als ware konsumiert. ...

wenn feministinnen beschreiben, wie die frau zur frau gemacht wird, wenn sie die verhaltensformen darstellen, die den mädchen anerzogen werden, wie emotionale abhängigkeit, furchtsamkeit, passivität usw., dann reden sie eigentlich von nichts anderem, als von der sorgfältigen herstellung einer ware. wenn sie die frau als sexuelles objekt beschreiben, das leben in der kleinfamilie, das dasein als supermutter und die arbeit in schlechten und unterbezahlten jobs, dann beschreiben sie die frau ebenfalls als ware. frauen werden von männern konsumiert, die sie als sexuelle objekte behandeln; als "supermutter" werden sie von ihren kindern konsumiert; sie werden von ihren autoritären männern als unterwürfige dienerinnen benutzt. medizinische forscher probieren an ihnen neue und unsichere verhütungsmittel aus. männer können ihren körper auf der straße kaufen. staat und kirche verlangen von ihnen, die nächste generation zum ruhme gottes und des staates zu erzeugen. politische und soziale organisationen erwarten von ihnen, daß sie ihre zeit und energie "freiwillig" für fremdbestimmte ziele aufbringen. die frauen besitzen kein selbstwertgefühl mehr, da sie ihre individualität an männer verkaufen mußten.

- top


frauen und das schauspiel

es ist schwierig menschen auszubeuten, die den kampf aufgenommen haben und sich gegen die ausnutzung ihres körpers und ihres verstandes wehren, doch die meisten können es nicht mehr. das was sie unfähig macht, ist unsere kultur.

die situationistinnen nennen unsere kultur ein schauspiel. in diesem schauspiel sind wir alle passive zuschauer unseres eigenen lebens. das schauspiel erfaßt alles: wir werden hineingeboren, wir gehen in ihm zur schule, arbeiten und erholen uns dort, und in ihm finden wir unsere zwischenmenschlichen beziehungen. selbst die revolte ist nur ein teil des schauspiels. ist jemand imstande, die zahl der sensiblen jungen zu schätzen, die sich vor einer generation das verhalten von james dean in dem film ...denn sie wissen nicht, was sie tun (rebel without a cause) zum vorbild nahmen? rebellische aktionen richten sich häufig gegen das schauspiel, können es aber selten völlig überwinden. meist sind rebellische verhaltensformen von der gesellschaft schon vorprogrammiert. frauen haben eine reihe von festgelegten verhaltensformen, um ihrer unzufriedenheit ausdruck zu geben, indem sie einfach das gegenteil von dem tun, was man von ihnen als frau erwartet. gleichzeitig sind diese verhaltensformen bloße sicherheitsventile des systems oder klischee von rebellionen, die das theater, in dem sich unser leben abspielt, nicht verändern. welche formen der rebellion stehen der frau in diesem theater zu? wir können sie alle nennen - sie stehen in jeder zeitung und erscheinene zur hauptsendezeit im fernsehen, sie sind auf der bestsellerliste zu finden und natürlich auch im alltag. in dem schauspiel "die perfekte hausfrau" kann die frau eine schlampe sein. in einer subkultur, in der die große familie geachtet wird, kann die frau es ablehnen kinder zu haben. sie kann sich der sexuellen moral für verheiratete widersetzen, indem sie eine oder mehrere affären hat. sie kann zur flasche greifen, einen nervenzusammenbruch haben, oder - wenn sie ein junges mädchen ist - ausflippen, indem sie auf trebe geht und mit vielen männern schläft.

eine jede dieser handlung könnte das leben der einzelnen frau erträglicher machen (oft jedoch ist das gegenteil der fall), und alle haben die eigenschaft - in den augen der konservativen - unsere gesellschaft zu untergraben. doch alle diese aufgeführten rebellionen haben die gesellschaft noch nicht zu grunde gerichtet, und sie werden es auch nicht schaffen. eine veränderung der gesellschaft ist erst möglich durch die direkte aktion gegen alle uns einengenden lebensverhältnisse.

wenn frauen von der abschaffung der destruktiven, geschlechtsspezifischen rollensozialisation der frau sprechen, dann wählen sie zumeist eine von den möglichen lösungen:

1. die mädchen sollten so ähnlich wie die jungen erzogen werden, damit sie später als frau unabhängiger, konkurrenzfähiger, aggresiver usw. werden. zusammengefaßt lautet die aussage dieses lösungsvorschlags: da wir in einer männerwelt leben, muß eine frau, die sich behaupten will, so eine art "mann" werden.

2. wir sollten auf unsere weibliche rolle stolz sein und erkennen, daß das, was wir schwäche nannten, in wirklichkeit stärke ist. wir können darauf stolz sein, daß wir mütterlich, fürsorglich, feinfühlig und emotional sind.

3. die einzig wirklich gesunde person ist der zwitter. wir müssen daran arbeiten, die künstliche unterteilung der menschheit in "männlich" und "weiblich" auszurotten, und beiden geschlechtern helfen, eine mischunh ihrer jeweils besten charakterzüge zu werden.

innerhalb dieser drei lösungsmodelle bilden die persönlichen lösungen der geschlechtsspezifischen unterdrückung ein weites feld. bleib ledig! lebe in gemeinschaft mit männern und frauen oder nur mit frauen! schaff dir keine kinder an! schaff dir keine männlichen kinder an! bekomme die kinder, die du willst, aber fordere kindergärten, die von den eltern und mitarbeitern konntrolliert werden! such dir einen job, such dir eine bessere tätigkeit! fordere eine sinnvolle arbeit! sei eine informierte konsumentin! reiche klagen bei den gerichten ein! lerne selbstverteidigung! trainiere dein selbstbewußtsein! entdecke das lesbische in dir! entwickle deine proletarische identität!
all diese vorschläge sind für bestimmte frauen in bestimmten situationen sinnvoll. aber sie sind nur teillösungen, die wieder neue probleme schaffen, und keiner von ihnen beinhaltet eine qualitativ neue sicht der welt.

wir kommen nun von den speziellen zu den mehr allgemeinen lösungen. vernichtet den kapitalismus! beendet das patriarchat! zerschlagt den heterosexismus!

das sind alles offensichtlich wichtige aufgaben für die errichtung einer neuen humanen welt. marxistinnen und andere sozialistinnen, soziale anarchistinnen und feministinnen würden diese forderungen zumeist bedenkenlos unterschreiben. aber was die sozialistinnen und sogar einige feministinnen vergessen, ist, daß wir alle formen der herrschaft zerstören müssen. diese forderung ist nicht nur ein bloßer slogan, sondern sie ist auch die größte aufgabe, die vor uns liegt. diese aufgabe beinhaltet, daß wir lernen, das schauspiel zu durchschauen. sie beinhaltet die zerstörung der bühnenbilder aus dem wissen und dem bewußtsein heraus, daß es anders gemacht werden kann. sie beinhaltet, daß wir in zukunft mehr tun müssen, als uns nur in vorprogrammierten rebellionen abzureagieren. - wir müssen anfangen zu handeln. wir müssen unsere aktionen koordinieren und dabei dennoch als selbstbewußte individuen handeln. diese vorgehensweise ist kein widerspruch - wie ihr so oft vorgewurfen wurde - aber ihre durchführung wird schwer sein. das individuum kann keine großen veränderungen hervorrufen, aus diesem grund müssen wir unsere anstrengungen vereinigen. aber diese arbeit muß ohne die uns bekannten "führerinnen" geschehen, und ohne daß wir kontrolle über das was wir aufbauen wollen, aufgeben oder sie an andere übertragen.

sind dazu die sozialistinnen in der lage? oder die anhängerinnen des matriarchats? oder die geisterseherinnen? die antwort darauf weist du. arbeite dort mit ihnen zusammen, wo es sinnvoll ist, aber gebe nichts von deiner persönlichkeit auf. unterwerfe dich weder ihnen noch irgendwelchen anderen.

 

 

nur wenn wir sie zwingen
wird uns die vergangenheit
zu uns selbst führen

anderenfalls
wird sie uns schlucken
in ihrem asyl ohne türen

wir machen geschichte
oder
wir werden von ihr eingemacht.
19

- top

 

 

anmerkungen

1 barbara ehrenreich, "what is socialist feminism?"
WIN magazine, june 3, 1976, p.4
2 die besten argumente, die ich dazu finden konnte, sind
"socialist feminism: a strategy for the women's movement", hyde park chapter, chicago women's liberation union, 1972; u. charlotte bunch, "the reform tool kit", quest, vol 1, no.1, 1974, pp. 37-51
3 berichte von polly anna, kana trueblood, c. corday und s. tufts, the fifth estate, may 1976, pp.13-16, the "revolution" failed: FEN and its club shut down
4 wer an den berichten dieser tagung interessiert ist, wird sie in fast jeder us-amerikanischen feministischen oder sozialistischen zeitung vom monat nach dem 4.juli finden. die reden von barbara ehrenreich, michelle russel und der berkeley-oakland women's union sind in socialist revolution, no.26, 1975, abgedruckt. die rede von charlotte bunch, "not for lesbians only", findet sich in quest, vol.2, no.2, herbst 1975. ein dreißig minuten tonbanddokument ist erhältlich über: great atlantic radio conspiracy, 2743 maryland avenue, baltimore, maryland 21218
5 lynne ferrow, "feminism as anarchism", aurora no.4, 1974, p.9; peggy kornegger, "anarchism: the feminist connection", 1975, dt. "der anarchismus und seine verbindung zum feminismus" in anarcha-feminismus, edition schwarze kirschen 1, libertad verlag berlin, 1979, (vergl. s.21-69, s.50: marian leighton, "anarcho-feminism and louise michel", black rose, 1, 1974, p. 14., dt.: "der anarcho-feminismus und louise michel", louise michel, karin kramer verlag, berlin 1976, s.26)
6 it aint me babe, dec. 1970, p.11
7 lilith's manifesto, women's majority union of seattle, 1969; abgedruckt in robin morgan (ed.), sisterhood is powerful, random house, new york 1970, p.529
8 die beste und detaillierteste beschreibung der parallelen zwischen dem radikalen feminismus und dem anarchistischen feminismus findet sich bei peggy kornegger, a.a.o., (anm.5)
12 strasbourg situationists, once the universities were respected, 1968, p.38
13 carol hanisch, "the personal is political", notes from the second year, radical feminism, new york 1970, pp. 76-78
14 marian leighton, a.a.o., (anm.5)
15 point-blank!, "the changing of the guard", in: point-blank, oct. 1972, p.16
16 eine der bezeichnendsten dieser älteren analysen ist die von meridith tax, "women and her mind: the story of everyday life", bread and roses publications, boston 1970
19 marge piercy, auszug aus: "contribution to our museum", living in the open, knopf, new york 1976, pp.74-75


bemerkung

carol ehrlichs text "sozialismus, anarchismus und feminismus" erschien zum ersten mal in

  • anarcha-feminismus (1.auflage 1979, 2.auflage 1982 - s.71-115)
    edition schwarze kirschen #1
    libertad verlag berlin

    auszüge in
  • "tu was du willst" (1.auflage 1987 - s.205-208)
    anarchismus - grundlagentexte zur theorie und praxis
    verlag schwarzer nachtschatten - berlin
    (erstmals erschien "tu was du willst..." 1980 im ahde-verlag berlin)
  • kalenda (vol.15, 1997)
    der "zum glück gehts dem juni entgegen"-blues
    anarchistischer taschenkalender - berlin



  • !!! FIGHT SEXISM!!!!!
    SMASH PATRIARCHY !
    the home of the rudegenderkillAs...

    @nticopyright - anarchist resistance 2002




    the
    rudegenderkillAs