
Arno Gruen
Der Wahnsinn der Normalität
Realismus als Krankheit:
Eine Theorie der menschlichen Destruktivität
ISBN 3-423-35002-4
ueber pflichtbewusstsein
wenn die pflichterfuellung durch den sozialen druck zur dauernden
antriebsfeder wird, verstaerkt sich fortwaehrend die bereitschaft,
sich dem willen eines anderen zu unterwerfen. ausserdem wird immer
weiter beschnitten, was noch vom gefuehl der eigenverantwortlichkeit -
und der faehigkeit zum mitgefuehl - uebriggeblieben ist.
pflichterfuellung wird ein willkommener weg, auf dem man der
persoenlichen verantwortung, die durch mitgefuehl erwachen koennte,
entkommen kann. hat man sich fuer die pflichterfuellung entschieden,
so entgeht man auch dem schmerz, der von dem eigenen mitgefuehl
hervorgerufen werden koennte. ein so von der pflicht besessener mensch
ist sogar dazu bereit, in treuer pflichterfuellung zu sterben - und
diese abstrakte idee haelt er fuer verantwortlichkeit
...
dieses phaenomen des ploetzlichen wechsels in eine entgegengesetze
richtung charakterisiert die ergebenheit eines menschen an die
herrschenden regel, an einen fuehrer oder eine politische ideologie
und demonstriert sehr anschaulich, was es mit dem auf sich hat, was
wir gewoehnlich unter "identitaet" verstehen. dieses phaenomen zeigt,
dass viele menschen glauben, identitaet und pflicht seien tatsaechlich
dasselbe. pflichttreue und pflichterfuellung werden fuer "identitaet"
gehalten. wo immer das geschieht, kann man sicher sein, dass kein
eigenes inneres selbst vorhanden ist. diese geschichte
nazi-deutschlands demonstriert dies aeussert drastisch.
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