BEWAFFNE DEN GEIST!
revolutionier deinen alltag...
ehrich mühsam
die befreiung der gesellschaft vom staat
was ist anarchistischer kommunismus?
1933 - sonderheft des fanal (berlin)
II.
der weg des anarchismus
der wichtigste einwand gegen den anarchismus als gesellschaftliches
ideal ist der zweifel, ob aus solcher freiheitslehre je mehr werden könne
als ein ideal, ob zu seiner verwirklichung ein gangbarer weg überhaupt
zu finden sei. die absicht dieser schrift ist nur, die meinung der anarchisten
und ihre forderungen an solche menschen niederzulegen, welche die unfreiheit
als übel empfinden.. wie weit die anarchistische meinung sich wird
durchsetzen können und wie weit die kräfte der freiheitlich gesinnten
menschen sich einmal gegen die widerstände autoritärer, zentralistischer,
staatlicher machtauffassungen geltung verschaffen werden, läßt
sich nicht voraussagen. es geschieht in aller menschengeschichte das, was
der stärkste wille mit den stärksten mitteln erzwingt. dabei
kommt es nicht darauf an, daß die stärke des willens und der
mittel ziffernmäßig in erscheinung tritt, sondern darauf, daß
der wille seine kraft aus der festigkeit, einheitlichkeit und wahrhaftigkeit
einer idee zieht, und daß die mittel auf keine nebenzwecke hinzielen
und in allen anwendungsformen der idee zugehörig bleiben.
der kommunistische anarchismus ist in weltanschauung und zielsetzung
revolutionär. da die grundsätze der gesellschaftlichen freiheit
auf dem boden der kapitalistischen rechts- und wirtschaftsungleichheit
keine handhaben zur verwirklichung finden, ist die vollständige umpflügung
des bodens, die neuordnung aller menschlichen beziehungen, die umwälzung
sämtlicher organisatorischen einrichtungen zur regelung von arbeit
und verbrauch vorbedingung der umgestaltung im sinne anarchistischer gemeinschaft.
gänzliche wandlung der lebensverhältnisse aller kann aber niemals
auf dem wege langsamer entwicklung erreicht werden, durch die höchstens
verbesserungen innerhalb eines gesellschaftssystems möglich sind.
wie die entstehung von bergen und inseln in der natur nach einem langen
entwicklungsvorgang von unterirdischen umschichtungen durch die plötzliche
sprengung der die ausweitung hemmenden bestandteile des meeresgrundes oder
des erdinnern geschieht, wie jede geburt dadurch erfolgt, daß sich
ein während des vorbereitenden werdens im mutterleibe eingeschlossenes,
zu eigenem sein bereites lebewesen gewaltsam den zutritt zum licht erzwingt,
so kann auch das werden neuer gesellschaftszustände nur nach geeigneter
vorbereitung und vorgeburtlicher entwicklung durch revolutionären
ausbruch vor sich gehen. wenn schlechte, faulige, unerträgliche zustände
herrschen, so ist das allerdings noch nicht genug, um der revolution die
bahn frei zu machen. die vorgeburtliche arbeit an der neuen gesellschaft
muß soweit gefördert sein, daß ihr befruchteter keim sich
aus der umschließung befreit und die aufgabe der revolutionäre
sich in der dienstleistung von geburtshelfern erschöpft, denen danach
die weit schwierigere pflicht zufällt, die revolution am leben zu
erhalten und ihr ein wachstum zu sichern, dem alle krankheitserreger der
früheren gesellschaft ferngehalten werden, und das die ausformung
des vorgestellten ideals zur wirklichkeit der lebendigen menschengemeinschaft
verbürgt.
der weg der anarchie ist somit zunächst ein weg revolutionärer
vorbereitung. vorbereitung der revolution geschieht auf dreifache weise:
durch werbung, indem das wesen der verwerflichen zustände aufgezeigt
und zu ihrer beseitigung und zur schaffung wünschenswerter zustände
ermahnt wird; durch selbsterziehung, indem die wahrnehmung schlechter einrichtungen
den vorsatz weckt, sie zu ändern; endlich durch kampf. in der anarchistischen
lehre ist nichts enthalten, was irgendeinen menschen von der teilnahme
an den zurüstungen zur revolution ausschlösse, der sich durch
sein verhalten nicht selbst ausschließt. die kommunistischen anarchisten
sind indessen in wohl allgemeiner übereinstimmung davon überzeugt,
daß die beseitigung übler veranstaltungen und einrichtungen
nicht von denen zu verlangen ist, die sie geschaffen haben oder nutzen
aus ihnen ziehen, sondern daß alle befreiung sache derer ist, die
die fesseln der unfreiheit tragen. der kampf gegen die eigentumsrechte
ist von denen zu führen, denen das eigentum vorenthalten wird, der
kampf gegen ausbeutung und unterdrückung von den ausgebeuteten und
unterdrückten, der kampf gegen herrenrechte von den sklaven und entrechteten.
gleichberechtigung, gegenseitigkeit und selbstbestimmung nach maßgabe
des sozialen gewissens wird kämpferisch vorzubereiten sein von denen,
auf deren kosten die ungleichheit und das vorrecht, die obrigkeit und der
unsoziale eigennutz sich auswirken. die befreiung der gesellschaft vom
staat wird also vornehmlich von der klasse zu leisten sein, zu deren niederhaltung
das kapitalistische system den staat braucht, deren gefügigkeit durch
die autorität von kirche und schule, durch die machtgebilde von vaterschaftsfamilie
und einehe, durch die gewöhnung an zentralistische organisationsformen
zur erreichung feindlicher trennungen innerhalb aber lebensgebiete, durch
die pflege nationalen und rassischen dünkels, durch gesetze, strafen,
steuern, durch erwerbslosigkeit, hunger, elend, schlechte luft, bevormundung
und entwürdigung betrieben wird. die befreiung vom staat ist befreiung
aus der klassenknechtung, die geknechtete klasse muß trägerin
des befreiungskampfes sein. der kampf für kommunistische anarchie
ist daher während der zeit der revolutionären vorbereitung als
klassenkampf zu führen.
die bejahung des klassenkampfes durch die kommunistischen anarchisten
ergibt sich aus dem bekenntnis zur selbstbestimmung und selbstverantwortlichkeit
als notwendige folge. die klassenscheidung der gesellschaft im staate ist
eine kampfmaßnahme des kapitals gegen die vermieter ihrer arbeitskraft,
die proletarier. indem die arbeiter den kampf als klasse aufnehmen, betonen
sie das natürliche recht auf die eigene bestimmung über ihre
lebenslage. die einsicht, daß die staatlichen grenzziehungen äußerungen
des klassensystems sind, indem die künstliche verfeindung der arbeiter
der verschiedenen länder durch züchtung nationaler vorurteile
die verbrüderung der ausgebeuteten verhindert, diese einsicht war
der leitende gedanke bei der verständigung zur ersten arbeiter-internationale.
der grundlegende wahlspruch aber, der sich international zusammenfindenden
arbeiterklasse war das gelöbnis der selbständigkeit des proletariats
in seinen meinungen und beschlüssen. die befreiung der arbeiterklasse
muß das werk der arbeiter selbst sein! in dieser festlegung ist das
bekenntnis zur selbstverantwortlichkeit, zur gleichberechtigung, zur gegenseitigen
hilfe und zur freiwilligkeit enthalten, wie in der internationalen einigung
zugleich die verneinung des staates, somit der zentralisation, der obrigkeit
und der autoritären macht ausgesprochen ist. erst die durchsetzung
des klassenkampfgedankens mit marxistischen lehrmeinungen brachte zugleich
die klasseneinigung wie den internationalismus der arbeiter zum zerfallen.
unter dem einfluß des marxismus schufen sich die arbeiter zentralistische
partei- und gewerkschaftsorganisationen, bevollmächtigten beamte zur
wahrnehmung der arbeiterinteressen, womit sie also ihren befreiungskampf
in die hände übergeordneter vertreter legten, beteiligten sich
an den wahlen zu den staatlichen parlamenten, so daß der staat mit
seinen nationalen grenzen für sie wieder gegenständliche bedeutung
erhielt und ließen sich sogar nur den staatlich verwalteten sozialismus
einfangen. so ist der arbeiter zum staatsbürger geworden, und sein
kampf gegen die ausbeutung zerschellt an dem widerspruch, daß er
den die ausbeutung bedingenden öffentlichen apparat stützt und
stärkt.
die besondere taktik der anarchisten gegenüber den marxisten in
allen einzelheiten darzustellen, ist hier nicht der ort, da diese seiten
nur einen allgemeinen überblick über das wesen des anarchismus
umreißen sollen. die führung des klassenkampfes unter anarchistischen
gesichtspunkten bedarf aber nur der anwendung der anarchistischen gesinnung,
um ihm die aussicht auf die befreiung des proletariats zu sichern. zur
organisatorischen zusammenfassung besteht für kommunistische anarchisten
weder eine verpflichtung, noch ist die idee des anarchismus mit der schaffung
einer organisation unverträglich. nur wäre die bildung
zentralistischer vereinigungen und bürokratisch geleiteter zusammenschlüsse
im widerspruch zu der grundlehre des anarchismus, daß nur da gesellschaftliches
leben ist, wo jeder persönlichkeit der willensbewußte einfluß
auf alle festlegungen und unternehmungen zusteht. die führung des
klassenkampfes in eigenen gewerkschaften, wie ihn die anarcho-syndikalistische
bewegung betreibt, ist vom standpunkte des freiheitlichen sozialismus völlig
unangreifbar, und nicht derjenige verletzt anarchistische grundsätze,
der sich mit gleichstrebenden genossen in wirtschaftlichen kampfverbänden
zusammenschließt, sondern derjenige, der föderalistisch aufgebaute
berufs- oder betriebsorganisationen angreift, weil er selbst aus noch so
wohlerwogenen gründen ihnen nicht beitreten mag. hierin gerade ruht
die kraft des föderalistischen gedankens, daß niemand gehalten
ist, sich einem programm unterzuordnen, das er nicht selbst mit aufgestellt
hat und dem er nicht in allen punkten zustimmt. der beliebte marxistische
angriff auf die anarchisten, bei ihnen gäbe es dutzende von verschiedenen
richtungen und ansichten, schlägt nicht allein deshalb fehl, weil
auch der marxismus sich in zahllose gruppen spaltet, sondern vor allem,
weil ein kameradschaftliches nebeneinander erst dadurch ermöglicht
wird, daß jeder meinung die art ihrer vertretung und die form ihres
kampfes völlig freigestellt bleibt, ohne daß deswegen streit
und vorrangsanspruch entstehen müßte. die zentralen bürokratien
der marxistischen gruppen müssen trotz ihrer nahen verwandtschaft
in allen politischen und allgemeinen anschauungen erbittert gegeneinander
kämpfen, weil gegenseitige duldsamkeit immer der autorität abbruch
tut, und weil jede abgrenzung von herrschbereichen notwendig feindselige
abgrenzung bedeutet. föderalistische gruppenbildungen hingegen fördern
die nachbarliche eintracht, indem sie freundschaftliche trennungen bewirken,
wo keine übereinstimmung vorhanden ist, was das zusammengehen in den
übrigen angelegenheiten um so ersprießlicher macht. wenn hier
und dort auch zwischen benachbarten anarchistischen vereinigungen unverträglichkeit
und ränkesucht vorkommt, so ist das keine widerlegung der föderation,
es ist nur ein beweis dafür, daß die überlieferung des
zentralismus, des machtgelüstes, der unduldsamkeit ihre krallen noch
nicht überall von den geistern selbst solcher menschen gelöst
hat, die mit dem verstande die vorteile des föderalismus begriffen
haben.
die von unten aufgebaute organisation führt personen zu bünden
zusammen, oft die gleichen personen zu verschiedenartiger verbündung.
man organisiert sich unter dem gesichtspunkt der unmittelbaren zusammengehörigkeit
nach gesinnung, aufgaben und örtlichkeit. die gesinnungsgenossen,
die zu gemeinsamer tätigkeit verbundenen, die in häusern, straßen,
gemeinden, städten auf gleichmäßige bedingungen angewiesenen
halten bei völliger selbständigkeit in allen entschlüssen
gute fühlung zu bünden ähnlicher beschaffenheit. es findet
dauernde gemeinsame beratung in betrieblichen, beruflichen, weltanschaulichen
dingen statt, der grundsatz der gegenseitigen unterstützung ist für
alle gemeinschaftlichen maßnahmen verbindlich, ohne der selbstverantwortung
jeder persönlichkeit und jeder gruppe abbruch zu tun. es entsteht
ein netzartiges gewebe bis ins einzelglied selbständiger, einander
wechselseitig durchwirkender arbeits-, gesinnungs- und nachbarsbünde,
deren einfluß- und raumgebiet von hof zu hof, von dorf zu dorf, von
bezirk zu bezirk, von provinz zu provinz, von land zu land, oder auch von
werkstatt zu werkstatt, von betrieb zu betrieb, von industrie zu industrie,
kurz in jeder wirtschaftlichen und geistigen beziehung von mensch zu volk
und gesellschaft ausgreift und in lebendiger gemeinschaft alle beteiligten
allen anderen beteiligten kameradschaftlich zuteilt. die anarchistische
organisation hat stets so auszusehen, daß sie im kleinen das bild
der erstrebten freiheitlichen gesellschaftsorganisation vorführt.
ebenso wie bei der gestaltung der organisationsformen gilt auch für
das gesamte übrige verhalten der anarchisten die allgemeine regel:
der weg zum vorgesteckten ziel soll geradeaus führen, das heißt,
es soll kein umweg benutzt werden, bei dem das ziel je aus den augen verloren
werden kann. schon beim ersten vorbereitenden schritt und weiterhin ohne
unterbrechung bis zum ausbruch der sozialen revolution und in allen entwicklungsstufen
beim aufbau der freien kommunistischen gesellschaft haben für die
anarchisten die leitenden grundlehren der gleichberechtigung, der selbstverantwortung,
der sozialen gerechtigkeit, des föderalismus und der vollständigen
freiwilligkeit im wollen und handeln das vorgehen zu bestimmen. alles tun
ist aufs letzte und aufs ganze gerichtet; jede maßnahme erfolgt in
der erkenntnis, daß persönlichkeit und gesellschaft eine materielle
und sittliche einheit ist; der einzelne anarchist, der anarchistische bund,
der bund anarchistischer bünde richtet in werbung, erziehung, in kampf
und benehmen seinen ganzen willen auf die verwirklichung der staatlosen
sozialistischen freiheit, schaltet nebenzwecke aus und lebt im verpflichtenden
bewußtsein, durch sein beispiel in der gegenwart die möglichkeit
eines freiheitlichen und gerechten lebens der künftigen menschheit
zu beweisen.
aus dieser allgemeinen regel ergibt sich das verhalten der anarchisten
in der politik von selbst. die behauptung, die anarchisten verneinten
den politischen kampf überhaupt, ist eine törichte, durch nichts
gerechtfertigte unterstellung. politik ist beschäftigung mit den öffentlichen
dingen. der vorsatz, die öffentlichen dinge zu ändern, ist also
allein schon und erst recht in verbindung mit der planmäßigen
verfolgung dieses vorsatzes, bestandteil der politik. es handelt sich hier
um eine marxistische verdächtigung, um den anarchismus wegen seiner
ablehnung einer politik, die den sozialismus auf dem wege der teilnahme
an der verwaltung des staates herbeiführen möchte, als unkämpferisch
oder kampfunfähig erscheinen zu lassen. die anarchistische formel
für den politischen kampf war von jeher: ablehnung jeder politik,
die nicht unmittelbar und direkt die befreiung der arbeiterklasse zum ziele
hat. damit ist klar ausgedrückt, daß gerade die marxistische
politik der parlamentarischen tätigkeit in den vom kapital eingerichteten
staatlichen machtorganen von den anarchisten als kampfhemmend angesehen
wird, da sie nicht nur die abgeordneten von ihrer klasse loslöst und
zur oberschicht macht, sondern noch dazu den staatlichen verwaltungsorganen
den belebenden auftrieb einer opposition schafft, keinerlei nutzen für
das werktätige volk im sinne sozialistischer förderung bewirken
kann und die proletariermassen mit der einbildung füttert, die übertragung
ihrer initiative auf mit weitreichenden vollmachten versehene vertreter
ersetze den notwendigen selbstverantwortlichen kampf der arbeiterklasse
selbst. gar nicht davon zu reden, daß die abordnung von parlamentariern,
regierungsorganen, stadträten, staatsbeamten die autorität jeder
zentralen obrigkeit befestigt und den machtgedanken im proletariat ungeheuer
stärkt. die anarchisten verweigern dem staat jede art hilfe. ihre
politik erschöpft sich im einsatz jedes einzelnen individuums und
aller autoritätsfeindlichen vereinigungen zum unmittelbaren, auf das
ziel gerichteten kampf gegen den staat, gegen die staatlichen einrichtungen
und regen alle zentralen machtgebilde.
damit beschränkt der anarchismus nicht etwa seine kampfmittel;
er scheidet nur aus ihnen die waffen aus, die er als stumpf erkannt hat.
die sich aus der anarchistischen weltanschauung von selbst empfehlende
kampfesweise ist die des unmittelbaren eingreifens. da die macht
des kapitalismus in der produktionsweise und den eigentumsrechten der bestehenden
gesellschaft gipfelt, bevorzugt die anarchistische lehre den politischen
kampf in wirtschaftlichen formen. der vereinigte wille der menschen, deren
hände die hebel der maschinen bewegen, ist imstande den gesamten kapitalistischen
apparat stillzulegen. der streik, die unmöglichmachung der arbeit
(sabotage), der passive widerstand durch übertrieben genaue beobachtung
der betriebsvorschriften, durch behinderung von streikbrechern, durch absichtliche
pfuscharbeit, die sperre (boykott) für gewisse waren sind methoden
der sogenannten direkten aktion, alles maßnahmen, die an den opferwillen
und die entschlußkraft des einzelnen hohe anforderungen stellen.
der anarchismus schließt kein kampfmittel aus, das der persönlichkeit
des kämpfenden die aufgabe stellt, unmittelbar einzugreifen oder seine
mitwirkung an gemeinschädlichen maßnahmen, an unsozialen arbeiten,
an herausfordernden zumutungen unter einsatz seiner person zu verweigern.
so sollte kein anarchist an staatlichen kriegen teilnehmen, die stets für
kapitalistische zwecke von proletariern gegeneinander ausgekämpft
werden und die nicht nur alle grundsätze des gleichen rechtes, der
gegenseitigen hilfe und der freiwilligkeit verhöhnen, die selbstverständlichen
empfindungen der menschlichkeit und jedes sittlichen anstandes schänden,
und die internationale zusammengehörigkeit der ausgebeuteten an die
nationalen interessen der international versippten ausbeuter verraten,
sondern mehr als alles andere dazu beitragen, den machtgedanken und damit
den glauben an die himmlische und irdische autorität, die herren-
und sklaveninstinkte derer, die beherrscht werden sollen, ins triebleben
der entwürdigten menschheit einzupflanzen.
es braucht nicht im einzelnen aufgezählt zu werden, wo alles sich
möglichkeiten bieten, mit dem mittel des unmittelbaren eingreifens
selbstverantwortlich und in gegenseitiger hilfe den lauf der öffentlichen
dinge im sinne der freiheit zu beeinflussen. arbeitsverweigerung beim bau
von kriegsschiffen kasernen, zuchthäusern, justizgebäuden, bei
der herstellung von kriegswaffen, polizeimunition, arbeiterfeindlichen
zeitungslügen, dies und tausend andere arten der selbsthilfe im politischen
kampfe gibt es, die dann angewendet werden können, wenn entschlußkraft
des einzelnen, verbundener wille einsicht und opferbereitschaft groß
genug sind. bei der anwendung der kampfmittel des persönlichen eingreifens
kann die frage, ob sich anarchisten an den tageskämpfen um lohn und
arbeitszeit beteiligen sollen, ganz ausscheiden. der verfasser dieser schrift
teilt mit einer großen zahl anarchisten die ansicht, daß das
einsetzen der eigenen kraft eines arbeiters für bessere bezahlung
bei verkürzter leistung mit der forderung, nur kämpfe zu führen,
die unmittelbar auf befreiung gerichtet sind, in keinem widerspruch steht.
der bestand der kapitalistischen wirtschaft wird durch forderungen der
arbeiter die nur fürs tägliche brot gebührt werden, nicht
gestärkt, wie die staatsmacht durch teilnahme von arbeiterparteien
am parlamentarismus gestärkt wird. dagegen hebt jeder streik das selbstgefühl
des teilnehmers, vertieft das gefühl kämpferischer zusammengehörigkeit
der kameraden und erleichtert beim erfolge die äußere lebensführung
des arbeiters, wodurch nur schwächlinge tatfaul, freie und starke
naturen aber beschwingt werden. der klassenkampf ist ein vom kapitalismus
geschaffener zustand; die weigerung der arbeiter, sich innerhalb der gegebenen
verhältnisse an diesem kampf auch dann zu beteiligen, wenn dadurch
unmittelbare revolutionäre erfolge nicht erzielt werden können,
hieße, dem feinde den rücken widerstandslos hinhalten, ihn allein
den klassenkampf führen lassen und dadurch die eigene kraft für
den augenblick schwächen, wo der zustand des klassenkampfs in entscheidende
auseinandersetzung übergehen könnte.
die anarchistische lehre schreibt keine kampfmethode vor und lehnt keine
ab, die mit selbstbestimmung und freiwilligkeit in einklang steht. so ist
bei gewaltsamen aufständen der wille des einzelnen allein ausschlaggebend
für die art seiner mitwirkung, auch dafür, ob und wie weit er
sich in kampfverbände eingliedern mag, deren taktik in mancher hinsicht
von freiheitlichen gesichtspunkten aus angreifbar ist. es liegt nicht im
charakter eines jeden menschen, bei großen geschehnissen prüfend
und nörgelnd abseits zu stehen, wenn nicht alles nach seinen wünschen
geschieht und lieber gar nichts zu tun als einem kampfe beizustehen, der
nicht überall vom rechten geist erleuchtet ist. noch immer, wo revolutionäre
kämpfe geführt wurden, waren die anarchisten erfreulicherweise
fast ausnahmslos dabei, an der seite der arbeiter, die zentralistischen
einflüssen unterstanden und autoritär mißleitet wurden.
hier entschied das soziale zugehörigkeitsgefühl, das bewußtsein
der gegenseitigkeitsverpflichtung aller ausgebeuteten, der unbezähmbare
kampfwille, der es nicht erträgt, andere gegen den gemeinsamen feind
allein zu lassen und vor allem der wunsch, den mut, die aufopferung, die
leidenschaft, die da, wenn auch vielleicht mit schiefer zielsetzung, herrliches
leistete, mit freiheitlichem schwung zu beseelen. mag bei solchem wollen
mancher anarchist ziemlich weit aus seiner eigenen bahn geraten sein, er
hätte an der anarchistischen idee erst dann verrat geübt, wenn
er die kämpfer mit schulmeisterlichen ordnungsrufen im kampfe behindert
hätte. die freiheit ist kein mustergeschütztes gut mit ringsum
abgemessenen und abgewogenen eigenschaften. die freiheit ist ein geistiger
lebenswert, der überall zugang finden kann, wo kraft in bewegung gekommen
ist. aufgabe der anarchisten ist, der freiheit den zugang zu schaffen,
wo menschen im kampf stehen.
von derselben seite, die den anarchisten die enge ihres politischen
tätigkeitsfeldes glaubt zum vorwurf machen zu sollen, weil sie die
vergeudung von proletarischen kampfkräften in stimmzettelhäufung
als klassenkampfwidrig angreifen wird ihnen eine bestimmte, in der vergangenheit
vielfach von anarchisten angewendete form des unmittelbaren zufassens verübelt.
die gewaltsame einzeltat, erklären die marxisten, sei verwerflich,
weil sie das planvolle handeln der massen im revolutionären kampfe
durchkreuze und infolgedessen den gegenrevolutionären kräften
willkommene vorwände zu vergeltungsmaßregeln liefere, so daß
also die ganze klasse nur das unternehmen eines einzelnen büßen
müsse. der grund für diese verurteilung individueller tötungen,
brandlegungen, enteignungen und ähnlicher taten aus politischer überzeugung
ist sehr durchsichtig. sie fließt durchaus nicht aus moralischen
bedenken, denen in der marxistischen denkweise ja allenthalben nur eine
sehr untergeordnete rolle zukommt; auch wird von diesen bekämpfern
des individuellen schreckens der massenschrecken als politisches kampfmittel
ausdrücklich gebilligt. es ist die feindschaft autoritärer zentralisten
gegen jede selbstverantwortliche regung einer nach eigenen überlegungen
handelnden persönlichkeit, die sogar die aufopferung des lebens im
dienste der revolutionären idee mißbilligt, wenn die tat nicht
von einer zentralen obrigkeit beschlossen, befohlen und beaufsichtigt wird.
jedes heraustreten eines einzelnen menschen im kampfe bedeutet eine vom
standpunkt des herren-, priester-, vater- oder zentrale-denkens schädliche
minderung der beglaubigten macht, bedeutet den beweis, daß wirksame
taten auch auszuführen sind, wenn sie nicht von oben her gelenkt und
berechnet sind. so blöde die meinung ist, die individuelle gewalt
sei ein ausschließlich anarchistisches werbemittel - in der neueren
zeit sind politische morde fast nur von nationalisten begangen worden—,
ebenso blöde ist die ansicht, sie könne im klassenkampf keine
stätte haben oder die anarchisten hätten anlaß, sich von
den gewalttätern aus ihren reihen abzugrenzen. hier entscheidet vollständig
selbständig die persönlichkeit über die tat, und kommt die
persönlichkeit aus anarchistischer überzeugung zum beschluß
und zur ausführung, so unterliegt das geschehen selbstverständlich
der beurteilung nach zweckmäßigkeit und erfolg, aber niemals
der verurteilung aus der klassenkampfgesinnung heraus. die anarchistische
freiheitslehre stellt das recht der persönlichkeit viel zu hoch, als
daß sie es da, wo eine beleidigte natur ihrem gefühl den ausdruck
der vergeltung gibt, wo ein freiheitlich gesinnter mensch der werbung,
der warnung, der einschüchterung, des trotzes wegen oder um ein kampfzeichen
zu geben mit einer aufschreckenden tat vor die welt tritt, verleugnen sollte.
in dieser betonung der persönlichkeit liegt zugleich die heftige zurückweisung
der marxistischen auffassung, gewalttätigkeit werde dadurch gerechtfertigt,
daß sie auf zentrale weisung geübt werde. gerade dann entsteht
mechanische gewalt, die hand, die sie ausführt, ist bloßes werkzeug,
der mensch, der sie begeht, bloßes vollzugsorgan. nur die tat aber
ist nach anarchistischer denkart sittlich zu verantworten, die aus freiem
willen des täters, nach der erwägung im eigenen hirn, aus der
eigenen ernsthaft überprüften überzeugung und unter einsatz
des eigenen lebens dessen, der sie beschlossen hat, mit dem bewußtsein
unternommen wird, ein werk gegenseitiger hilfe, ein werk brüderlicher
pflicht, ein werk im dienste der idee und der klasse zu verrichten. ob
es sich dabei um die tat eines einzelnen, um die verschwörung verbündeter
oder um eine massenunternehmung handelt, macht dann keinen unterschied,
wenn jeder mittäter herr des eigenen handelns bleibt, nur tut, was
er selbst überlegt und wozu er sich aus seinem sozialen gewissen heraus
entschlossen hat, und die ganze persönlichkeit freiwillig und ohne
untertanengehorsam und machtfurcht für die gemeinsame sache einsetzt.
einsatz der persönlichkeit ist der anarchistische weg zur
revolution, wie späterhin die bedingung zum siege der revolution und
endlich das mittel zur errichtung der staatlosen gesellschaft und der inhalt
des lebens im kommunismus. das ist der sinn alles unmittelbaren eingreifens
durch streik, sabotage, widerstand, weigerung, individuelle oder verschwörerische
tat, daß jeder einzelne beteiligte mit leib und willen dabei sein
muß, daß alles was geschieht in freier übereinstimmung
der handelnden selbst geschieht, daß keiner zentralen leitung gefolgt
wird, sondern dem selbstverantwortlichen pflichtbewußtsein der von
gesellschaftlichem geiste erfüllten persönlichkeit. wo massen
in bewegung sind, müssen es zur masse vereinte persönlichkeiten
sein, sonst kann ihre bewegung nicht zur freiheit führen, sondern
nur zur übertragung von macht an diejenigen, die sie führen.
die kultur der persönlichkeit bedeutet nämlich nicht das
heranzüchten von führern, sondern ist im gegenteil der einzige
schutz gegen die gefahr von führern mißleitet zu werden. die
zentralistischen arbeiterparteien, wie überhaupt alle autoritären
organisationen und mächte verlangen, um ihren führern die blinde
gefolgschaft der gebührten zu sichern, durchaus keine wege der persönlichkeit,
und zwar ebenso wenig von den führern wie von den geführten.
wo persönlichkeit wirkt, ist freiheitlicher geist der mit keinem zentralismus
vereinbar ist. die autoritären führer erheben sich über
die menge niemals durch die überlegenheit in charakter und geistigem
wert, sondern immer nur durch befehlshabereigenschaften, die sich nur bei
gering entwickelten persönlichkeiten großziehen lassen. daher
ist es auch gewöhnlich so, daß die führer zentralistischer
organisationen nicht durch eigene willenskraft an die spitze gelangen,
sondern zu führern ernannt, nicht einmal gewählt, werden, da
sie die eignung bewiesen haben, unkritisch machtbefehle von einer ihnen
überstellten obrigkeit an ihre untergebenen weiterzuleiten und mit
autoritären ansprüchen vor kritik zu schützen. solche führer
aber werden, ebenfalls durch ernennung, zu verehrungswürdigen und
unfehlbaren personen aufgeblasen, was nur dadurch möglich wird, daß
man den persönlichkeitswert der menschen allgemein zum nichts herabdrückt.
je weniger die persönlichkeitskultur gilt, um so üppiger steht
der personenkult in ansehen. der anarchismus verwirft jeden personenkult
und wirkt ihm entgegen durch sorgsame pflege der persönlichkeit. wo
jeder alle sozial nützlichen und den eigenen lebenswillen stärkenden
eigenschaften frei und unbehindert ausbreiten kann, sich seiner besonderheiten
und seiner leidenschaften, sofern sie dem gemeinsamen ganzen keinen abbruch
tun, vor niemandem zu schämen braucht, da ist die achtung aller vor
allen verbürgt, da ist gegenseitige ehrung, da hat macht, vergottung,
kriecherei, personenkult und herrschaft keine stätte.
die kampfbewegung des anarchismus kann bei solcher gesinnung nur die
bewegung in freiwilligkeit vereinter persönlichkeiten sein. damit
beantwortet sich die frage von selbst, ob die idee der freiheit zu ihrer
pflege und ausbreitung einer massenorganisation bedarf. sie bedarf
des zusammenschlusses aller männer und frauen, welche die notwendigkeit
der anarchie als gesellschaftliche lebensgrundlage erkannt haben und entschlossen
sind, in föderativem bunde unter einsatz der ganzen persönlichkeit
jedes einzelnen, bei völliger gleichberechtigung aller und nach dem
grundsatz der freiwilligkeit jeder leistung ihre verwirklichung herbeizuführen.
je mehr menschen sich zu dieser aufgabe verbünden, um so rascher und
sicherer wird die befreiung der gesellschaft vom staat gelingen. wenn alle
menschen anarchisten sein werden, wird die anarchie tatsache sein. dagegen
ist die ansammlung möglichst vieler menschen in einer organisation,
gleichviel ob sie deren geistigen inhalt in sich aufgenommen haben oder
nicht, nie und nimmer das mittel, einen kampf zu bestehen, der auf selbstverantwortlichkeit
jedes kämpfers, auf gegenseitige durchdringung mit freiheitlichen
erkenntnissen und auf entschlußfreiheit der persönlichkeit fußen
muß, soll er zur zerstörung der macht führen, ohne einer
anderen macht zum aufstieg zu verhelfen. die zentralistischen parteien
rufen zum beitritt auf, indem sie nicht nach innerlich erfüllten anhängern
ihrer zielsetzung suchen, sondern sich jedes zulaufs freuen, der die zahl
ihrer mitgliedschaft vergrößert. da ihr anhang von vornherein
zur bloßen gefolgschaft bestimmt ist und die führer erledigt
wären, wenn selbstdenkende persönlichkeiten ihre anweisungen
prüfen dürften, bevor sie ihnen gehorchen, bedeutet vermehrung
der zahl für sie vermehrung von macht. sie sammeln autoritätshörige
nummern in ihren pferch, und ihre werbung vollzieht sich durch die zusicherung
von vorteilen, falls die geführten genau nach den anordnungen der
führer ihnen die befehlsgewalt über die gesamtheit verschafft
haben werden. ihren erfolg berechnen die parteizentralen nach der ziffer
derer, die ihrem rufe folgen. auf überzeugung legen sie so wenig wert,
daß sie ihre werbetätigkeit hauptsächlich unter den mitgliedern
feindlicher organisationen entfalten, die sie mit lockenden versprechungen
gewinnen, in ihre reihen einzutreten. eine gesinnungswandlung wird dabei
weder verlangt noch erwartet, der von der aussicht auf vorteile geköderte
aber ohne weiteres der zahl der überzeugungstreuen anhängerschaft
zugerechnet: jede zentralistische organisation ist sogar bereit, der massengewinnung
wegen abstriche und änderungen im programm und im kampfverfahren vorzunehmen,
und noch jede revolutionäre partei hat, da sie zur vergrößerung
ihres mitgliederbestandes auf unrevolutionäre massen angewiesen ist,
zugeständnisse an ängstliche stimmungen und versprechungen machen
müssen, die sich auf bloße ausbesserungen an den erscheinungsformen
des kapitalistischen staates beschränken. jede hat anpassungen an
kirchliche und nationalistische erziehungsvorurteile vorgenommen, so daß
mit der hochzüchtung zentralistischer organisationen zu massenparteien
zwingend die allmähliche preisgabe der revolutionären und selbst
der sozialistischen zielsetzungen eintrat.
die zusammensetzung anarchistischer vereine oder bünde kann und
darf keiner anderen erwägung unterworfen sein, als dem bedürfnis
von anarchisten, mit anderen anarchisten zusammen für die anarchie
zu wirken. der föderalistische charakter aller anarchistischen zusammenschlüsse
kann den gedanken, massen von teilnehmern in einer gruppe organisatorisch
zu erfassen, gar nicht aufkommen lassen. die politischen vereinigungen
der anarchisten müssen stets darauf bedacht sein, jeden einzelnen
genossen gleichberechtigt mit allen zur geltung kommen zu lassen. da keine
zentrale, keine führerschaft im sinne der überordnung vorhanden
ist, deren macht sich im verhältnis zur zahl der ihr gehorsamen anhängerschaft
steigert, hat keine anarchistische gruppe von der aufnahme schwankender,
unüberzeugter und herdenmäßig zusammenströmender personen
nutzen zu erwarten. da ferner keine herrschsucht, kein persönlicher
ehrgeiz und kein strebertum bei anarchisten auf die rechnung kommt, materielle
lebenssicherung nicht geboten wird, auch keine aussicht auf beförderung
besteht, bleiben leute, die auf den schultern des proletariats den aufstieg
zur oberschicht vollführen möchten, der anarchistischen bewegung
von selbst fern. in nichtrevolutionären zeiten ist daher an das anwachsen
anarchistischer organisationen zu aufnahmebecken von massen nicht zu denken.
die aufgabe dieser vereinigungen erschöpft sich in der pflege der
idee, der kameradschaft, der klärung widerstreitender meinungen, der
erörterung aller fragen, die die arbeiterschaft, die revolution und
die freiheitliche bereitung der sozialistischen zukunft betreffen und in
der beispielgebenden ausgestaltung föderativen organisationslebens.
daß dabei die gefahr naheliegt, in unfruchtbarem vereinsgeschwätz
zu verknöchern, sich mit dem ewigen schmoren im eigenen fett zufrieden
zu geben und den zusammenhang mit der von tagesfragen bewegten arbeiterklasse
zu verlieren, darf nicht verkannt und soll nicht verschwiegen werden. diese
gefahr kann aber bei rechtem verstehen der anarchistischen lehre leicht
vermieden werden, wenn die genossen begreifen, daß der kampf nur
eine idee sich niemals außerhalb des kampffeldes abspielen kann.
dazu braucht der anarchismus nicht den rahmen nur massenaufzüge und
massenschwüre abzugeben; aber er hat überall einzuwirken, wo
die massen aufmarschieren und schwüre ablegen. aufgabe der anarchisten
ist, ohne eigennutz für die eigene organisation alle massenveranstaltungen
zu beleben und zu ermutigen, alle erregungen im öffentlichen geschehen
tätig zu beeinflussen, in alle revolutionären stimmungen den
geist der freiheit hineinzutragen. ein anarchist ist nicht derjenige, welcher
die marken eines anarchistischen grüppchens klebt, sondern der, dem
die einheit von persönlichkeit und gesellschaft, das soziale bewußtsein
der selbstverantwortung, der gleichberechtigung, der freiwilligen gegenseitigen
verpflichtung, die abkehr von macht, kapitalismus, staat und autorität
zum inhalt der idee und zum steuer des verhaltens geworden ist.
ob, in welcher form und in welchem umfang sich die anarchisten in gesinnungsverbänden
organisieren, ist, sofern die allgemeinen grundsätze gewahrt und das
entstehen von autorität in den eigenen reihen verhindert wird, von
nebensächlicher bedeutung. um so schwerer wiegt die frage, in welcher
weise der wirtschaftlichen umgestaltung der gesellschaft durch anarchistische
tätigkeit vorgearbeitet werden kann. die politischen arbeiterparteien
bezichtigen die anarchisten, sie seien in kleinbürgerlicher denkart
befangen, der materialistischen dialektik unzugänglich - das ist die
lehre vom zusammenfluß gegensätzlicher erscheinungen zur höheren
einheit der aus nur ökonomischen quellen gespeisten gesellschaftsgeschichte
-, sie wollten erst die menschen bessern und nach der läuterung aller
gemüter aus idealistischen bausteinen die gerechtere wirtschaft in
sozialismus und kommunismus aufrichten. das gegenteil davon ist richtig.
in krassem gegensatz zu den marxistischen zentralen lehnt gerade der anarchismus
jedes bestreben ab, die arbeiterschaft anders als in organisationen
auf ökonomischer grundlage zu sammeln. dialektisches denken mag
gut oder schlecht sein, das zu entscheiden gehört in den aufgabenbereich
der philosophen.
den arbeitern hilft die anwendung dieser oder jener schulweisheit aus
der welt der begrifflichen unwirklichkeit in ihren kämpfen nicht das
mindeste. die aufforderung, sie sollen bei allen taten die geschichtlichen
gegenwirkungen vorsorglich mit in rechnung stellen, ist eher geeignet,
die dialektik als bremse in allen unternehmungsmut einzuhängen. ebenso
verursacht die teilnahme an der gesetzgebung und der versuch, auf die regierungsgeschäfte
des kapitalistischen staates einfluß zu nehmen, nur die täuschung,
die umwälzung der gesellschaft könne von anderen kräften
bewirkt werden als von der unter ökonomischen gesichtspunkten klassenmäßig
zusammengefaßten gesamten arbeiterschaft und den entsprechend organisierten
bauern.
der einfluß der anarchisten auf solche zusammenfassung kann nur
dadurch sichergestellt werden, daß ans werk gegangen wird. wie überall
die taktik der anarchisten von dem streben bestimmt sein muß, die
sittlichen und praktischen grundsätze der freiheitlichen lehre zur
anwendung zu bringen, so müssen sie versuchen, schon in der gegenwart
organe zu schaffen, die pläne nur die föderalistische wirtschaftsführung
der durch die revolution reif werdenden gesellschaftsordnung zu entwerfen
haben. dient die werbung unter den massen wesentlich dem zweck, den umsturz
durch die aufzeigung der ungerechtigkeit und widersinnigkeit der kapitalistischen
verhältnisse zu beschleunigen, dient die gewerkschaftliche und erzieherische
arbeit dem zweck, sich unter den bestehenden umständen ökonomisch
und seelisch kampfbereit zu erhalten, so darf darüber das ziel der
kommunistischen anarchie nicht aus dem auge verloren werden. die überleitung
zu diesem ziel ist nach der durchführung der politischen revolution
die soziale revolution.
die empörung, die erhebung, der entscheidungskampf gegen die alte
gewalt, der umsturz, die errichtung revolutionärer dienststellen,
die sicherung des errungenen, die niederhaltung widerstrebender und gegenrevolutionärer
kräfte, das alles gehört zum politischen teil der revolution.
an welcher stelle mit welchen besonderen aufgaben, mit was nur mitteln
sich die anarchisten in diesen kampf von klasse zu klasse einzureihen haben,
wird größtenteils gewissenssache des einzelnen sein. er wird
seine entscheidung unter dem gesichtspunkt zu treffen haben, daß
ihn die zugehörigkeit zur ausgebeuteten klasse zur restlosen kämpferischen
hingabe an die klasse verpflichtet daß er aber zugleich alle anstrengungen
zu machen hat, der revolution ihren charakter als international verbindliche
sache der weltarbeiterschaft zu erhalten, die selbstentschließung
aller beteiligten kräfte gegen den anspruch ehrgeiziger, selbstsüchtiger,
herrischer und staatlich gesinnter personen oder parteien zu verteidigen,
die nach regierungsgewalt über die revolutionäre gieren, und
der entladung der von ideen befeuerten leidenschaften, das ist der sittliche
auftrieb der revolutionen die schöpferlust nicht rauben zu lassen.
die anarchisten müssen in der revolution die schützer der freiheit
sein.
die soziale revolution ist ein langwieriger vorgang, der mit der niederringung
der herrschenden macht beginnt und nicht endet, bevor die ordnung der freiheit
nicht alle wirtschaftlichen und menschlichen beziehungen durchdringt. dazu
bedarf es von der ersten stunde an der sicherung des vertrauens des gesamten
werktätigen volkes zu den tatkräftigen trägern des revolutionären
willens. der überzeugungslose zulauf der massen zu den parlamentarischen
parteien bei wahlen hängt von wechselvollen umständen ab und
flutet zwischen politischen und wirtschaftlichen einflüssen, von launischen
stimmungen, marktschreierischen schmeicheleien und verleumdungen verwirrt,
hin und her. die gelegentliche gewinnung der am wirklichen kampf unbeteiligten
mehrzahl zur unterstützung einer um die beherrschung aller anderen
bemühten gruppe, auch wenn diese gruppe sozialistische versprechungen
macht, bedeutet keine einbeziehung der gleichgültigen in den kampf.
alle zähldemokratie bedeutet nur die vergewaltigung der tätigen
durch die untätigen. die behauptung, die arbeiter seien bereits die
handelnde kraft der gesellschaft, sie hätten bereits sozialistische
schulung, sozialistischen willen, selbstvertrauen und kritisches urteil
genug, um die wirkung ihrer stimmzettel richtig zu bemessen, ist irreführende
lüge. die ungeheure überzahl der arbeiter und aller von den reichtümern
ausgeschlossenen hat gar kein vertrauen zu sich selbst, aber auch sehr
wenig vertrauen zu denen, die sie nur darum mit macht bekleiden, weil sie
sich selbst die ordnung der eigenen dinge nicht glauben zumuten zu dürfen.
sie sind durch autoritäre beeinflussung entmutigt, selber befreiende
unternehmungen zu wagen; sie sind aber von denselben autoritären kräften
dazu erzogen, befreiende wagnisse anderer nicht zuzulassen. darum bildet
die riesenzahl der am kampf nicht unmittelbar teilnehmenden schichten eine
außerordentlich große gefahr für den sozialen sieg der
politischen revolution. denn gegen den willen dieser mehrheit ist der endgültige
sieg nicht möglich. die revolution ist auf ihre mindestens abwertende
duldung bedingungslos angewiesen. darum ist es notwendig, zunächst
die befürchtung der passiven zu widerlegen, es könne, wie stets
noch jede änderung, auch der umsturz neue belastung für sie bringen.
darüber hinaus aber muß die zustimmung, allmählich dann
die tätige unterstützung der innerlich unbeteiligten erreicht
werden. sie müssen zu der einsicht gebracht werden, daß sie
mit der wahl der machthaber, von denen sie regiert werden wollen, keine
überzeugung kundtun, sondern nur ihre überzeugungslosigkeit als
schemel für ihre unterdrücker selber zur verfügung stehen.
sie müssen erkennen, daß die regsamkeit jedes einzelnen im gesellschaftlichen
leben dem eigenen nutzen dient. denn solange die machtgierigen von ohnmächtigen
gebeten werden, sie zu regieren, hat die revolution noch nicht einmal die
voraussetzungen ihres sieges geschaffen.
die macht der ausbeuter zerbricht in der politischen revolution. deren
stärkstes mittel, der generalstreik, führt die vol1ständige
lahmlegung der gesamten wirtschaft herbei, erbringt damit zugleich nur
die beiseitestehenden massen den beweis daß die kapitalistischen
mächte kein brot geben können, wenn ihnen die hände des
proletariats nicht dienstbar sind. mit dem augenblick aber, wo die revolution
gesiegt, das heißt, die bestimmung über den öffentlichen
apparat erlangt hat, hat sie vor der abwertenden masse die pflicht, zu
zeigen, daß das arbeitende volk sehr wohl in der lage ist, ganz unabhängig
von den kapitalistischen gewalten alles lebensnotwendige herbeizuschaffen.
hier erwächst den anarchisten, mögen ihre organisationen noch
so klein sein, die aufgabe, vorsorge zu treffen. sobald die rote fahne
des revolutionären proletariats auf den staatsgebäuden erscheint,
ist das das zeichen, daß nun die verantwortung nur die versorgung
der massen auf die revolution übergeht. da muß vorher berechnet
und geregelt sein, daß unmittelbar nach aufhören des allgemeinen
streiks brot, fleisch, gemüse, milch für jeden tisch, stärkung
und arznei für jedes kind und jeden kranken bereit ist. die zufuhr
an allem lebensnotwendigen bedarf darf keine stunde verzögert werden
nur wenn das gelingt, kann die revolution die allgemeine volkstümlichkeit
gewinnen, ohne die sie dem huf der gegenrevolution oder der verfälschung
durch eine machtzentrale erliegen muß. es wird gelingen, wenn das
flache land der revolutionären sache gewonnen ist und mit den bauern
vereinbarungen getroffen sind, wie je nach den örtlichen verhältnissen
die verpflegung der städte durch die dörfer zu organisieren ist.
solche verstandfügung mit den bauern und dem landproletariat setzt
voraus, daß die landbevölkerung von der ehrlichkeit der revolutionäre
überzeugt ist, nicht zu argwöhnen braucht, daß die städter
sie als notwendiges tobel betrachten, mit dem man sich listig einzurichten
habe, daß es proletarische auffassungen gibt, nach denen den bauern
die äcker nicht genommen, sondern überantwortet werden sollen,
und daß sie nicht an stelle der alten herrschgewalten des staates
neuen ausgeliefert werden, sondern unabhängig von zentralen gesetzgebungsgewalten
die fragen der bodenverteilung und -bearbeitung selber entscheiden werden.
da der anarchismus im gegensatz zum marxismus die agrarrevolution nur die
bedingung der industriellen und der gesellschaftlichen gesamtumwälzung
hält, überdies in der abneigung gegen obrigkeitliche verfügungen,
führeranmaßung und jeglichen zentralismus mit der bäuerlichen
denkweise weitgehend übereinstimmt, erschließt sich seinen anhängern
hier ein fruchtbares tätigkeitsfeld. an den anarchisten ist es, die
bauern der revolution zu gewinnen und sie der freiheitlichen sache ergeben
zu halten. den anarchisten fällt die aufgabe zu, kameradschaft zwischen
stadt und land, gegenseitige hilfe für den augenblick der revolutionären
erprobung zu sichern und damit das beste dafür zu tun, daß das
vertrauen auf die soziale gerechtigkeit der revolution ihrem siege von
anfang an die gunst und weiterhin die unterstützung der gleichgültigen
massen einträgt.
wie die notwendigkeiten der volksernährung in den revolutionären
kampftagen schon jetzt gegenstand der überlegung willensverbundener
menschen sein müßten, so sollten sich die anarchisten die aufgabe
stellen, die wirtschaftliche organisation der künftigen gesellschaft
in den einzelheiten zu durchdenken und vorarbeiten für die überführung
der kapitalistischen zur sozialistischen wirtschaft zu leisten.
die kindliche vorstellung, mit der besetzung der betriebe durch die
arbeiter und ihre einfache weiterführung unter eigener leitung werde
die revolution den übergang zum sozialismus schon bewerkstelligt haben,
ist so unsinnig wie gefährlich die besetzung der betriebe ist gewiß
ein ausgezeichnetes kampfmittel des unmittelbaren eingreifens, aber ein
kampfmittel vor dem umsturz und zum zwecke des umsturzes. nach geschehener
revolution bedarf es des vollständigen umbaues der wirtschaft. die
betriebe jeder art sind unter kapitalistischen verhältnissen in einrichtung
und organisation ausschließlich den gewinnberechnungen der unternehmer
angepaßt. hier spricht keine rücksicht auf das verlangen der
menschen mit, keine rücksicht auf die erfordernisse der gerechtigkeit,
der vernunft, auf leben und gesundheit von arbeitern und verbrauchern.
der bedarf wird nur insofern in betracht gezogen wie er den warenabsatz
bei sicherem nutzen für die kapitalseinlagen bestimmt. auch die produktionsweise
richtet sich, was rohstoffbeschaffung, massenherstellung von einzelteilen,
behandlung von halbfertigwaren, beförderungsart usw. anlangt nach
börsenabmachungen. was aus den waren wird, hängt nicht vom begehren
des verbrauchers ab, sondern von spekulationen der fabrikanten, der zwischenhändler
und der geldverleiher. eine solche wirtschaft, eine wirtschaft, unter der
die mehrzahl der menschen im ganzen leben niemals zu einer auskömmlichen
und gesundheitlich zweckmäßigen lebensführung kommt, während
gleichzeitig die lager unter nicht verkäuflichen notwendigen gebrauchsgütern
zusammenbrechen, eine wirtschaft, die viele millionen ohne arbeit in buchstäblichem
hunger verelenden läßt und die gleichzeitig wichtigste nahrungsmittel
verbrennt, ins meer schüttet, in den scheuern verfaulen läßt
oder als dünger verwendet, eine solche wirtschaft läßt
sich nicht einfach übernehmen und weiterführen. sie muß
von grund aus umgestaltet werden. diese umgestaltung vorzubereiten, gehört
zur praktischen gegenwartsarbeit freiheitlicher revolutionäre.
ein muster für solche vorarbeit kann in dieser allgemeinen wegweisung
des anarchismus nicht geliefert werden. man muß statistische vergleichungen
vornehmen, um nach landschatten und bevölkerungsdichtigkeit den notwendigen
bedarf für ernährung, bekleidung, behausung, reinlichkeit und
gesundheit, verkehr und erholung festzustellen und danach einen wirtschaftsplan
zu errichten, der die zweckmäßigste verteilung der arbeitskräfte
in stadt und land, die sichersten und erträglichsten arbeitsmethoden
und die vernünftigste organisation der zuleitung der waren zu den
verbrauchern ermittelt. danach kann errechnet werden, welche betriebe bestehen
bleiben, geschlossen, eingeschränkt oder erweitert werden müssen,
welche industrien neu zu schaffen oder zu beleben, in welcher weise der
austausch, die beschaffung von rohmaterial, das geld- oder tauschwesen
in der übergangszeit und späterhin für die dauer zu ordnen
ist. ohne die gründlichste beschäftigung mit allen diesen fragen,
deren endliche lösung selbstverständlich dem leben selbst vorbehalten
bleibt, kämen die arbeiter trotz aller revolutionären siege niemals
aus dem lohnsystem heraus, kämen sie nie zu einer befreiung vom laufenden
band und zur freude an ihrer arbeit, brächten niemals alle feiernden
hände in tätigkeit und hätten weiterhin überfüllte
speicher und darbende menschen.
tausende von zukunftsfragen türmen sich vor den wegbereitern der
gegenwart auf. mögen die anarchistischen genossen die zeit benutzen,
in der die zentralistischen parteien an den paragraphen des kapitalistischen
systems herumflicken und mit den faschisten wettläufe zu den staatspfründen
veranstalten, die schienenwege und flußläufe auf ihre eignung
zu sozialistischer verwendung zu prüfen, und die möglichkeiten
zu untersuchen, wie schnellstens alle arbeitenden, alten und kranken menschen,
wie alle kinder und frauen in gesunde wohnräume überführt
werden können, wie mit den zwingburgen der staatsknechtschaft, den
fürstenschlössern und zuchthäusern, den justizpalästen
und regierungsgebäuden zu verfahren ist, welche anstalten der kunst
und des wissens zu allgemeinen bildungsstätten, welche kirchen zu
versammlungsräumen, zu orten wahrer gemeinschaft und zu schulen der
aufklärung gegen autorität und familie, oder zu werbehallen der
freiheit verwandelt werden können. der boden des sozialismus läßt
sich schon in der gegenwart ebnen, aber nur in freiwilliger hingabe von
sozialem geist erfüllter, kameradschaftlich verbundener, der revolution
ergebener persönlichkeiten.
der anarchistische gedanke wird von solcher vorsorgenden arbeit den
größten vorteil haben. das beispiel einer nicht von oben befehligten
leistung im dienste der gesamtheit wird den mut wecken, sich in allen dingen
lieber auf sich selbst als auf eine vorgesetzte beamtenschaft zu verlassen.
denn die anarchisten übergeben ihre durchdachten und sorgfältig
errechneten vorschläge nicht irgendwelchen regierungsstellen, sondern
der selbstverantwortlichen arbeiterklasse insgesamt, die selber alles prüfen,
selber verbessern, selber die ausführung überwachen muß
durch diejenigen organe, welche sie selbst ausschließlich nur diesen
zweck bestimmt, ohne sie deswegen auch nur zeitweilig aus der tätigen
gemeinschaft aller zu entlassen. diese organe werden die soziale triebkraft
der revolution bedeuten, sie werden von der stunde des sieges an wirtschaft
und verwaltung des gemeinwesens in den händen führen, sie werden
m der zeit des überganges und während der ganzen entwicklung
der sozialistischen arbeits- und gesellschaftsformen die ordnung der freiheit
betreuen und verbürgen, sie werden die kommunistische anarchie schaffen
und in der anarchistischen gemeinschaft die träger der föderation
der arbeits- und menschheitsbünde bleiben. diese organe sind die
freien räte der arbeiter und bauern.
über wesen, sinn und aufgaben des rätesystems herrschen weithin
die unklarsten vorstellungen, und selbst in den freiheitlichen arbeiterverbänden
gibt es die widersprechendsten auffassungen darüber, ob und in welcher
weise räte zu schaffen seien und wirken sollen. diese verwirrung ist
auf die spitze getrieben durch die übernahme des rätebegriffs
in staatsgesetze und kapitalistische produktionsmethoden. man hat, um der
forderung der arbeiter, die betriebseinrichtungen und das arbeitsverfahren
unter eigener aufsicht zu halten, scheinbar entgegenzukommen, belegschaftsausschüsse
an den arbeitsstätten zugelassen, ihren mitgliedern den namen betriebsräte
gegeben und damit eine revolutionäre gesellschaftswurzel in die saugpumpe
der kapitalistischen ausbeutung eingebaut. zugleich hat man das dem rätewesen
gegensätzlichste system der parlamentarischen auszähldemokratie
benutzt, um die zusammensetzung jener mit engsten rechten ausgestatteten
kontrollausschüsse von parteizentralen aus zu lenken und in ihrer
abhängigkeit zu halten. selbst da, wo schon die revolution unter der
losung "alle macht den räten!" den sieg der arbeiter und bauern brachte,
wurden die räte staats- und parteiuntertan und, statt das öffentliche
geschehen zu bestimmen und in sozialistischem geiste zu leiten, zu bloßen
werkzeugen der obrigkeit erniedrigt. wenn, wie es hin und wieder vorkommt,
anarchisten hieraus den schluß ziehen, die ganze räte-ldee sei
nunmehr als freiheitswidrig erwiesen, so begehen sie denselben denkfehler
wie jemand, der aus dem gebaren der staatsjustiz folgern wollte, es könne
niemals ein gesellschaftliches recht geben. die verfälschung eines
gedankens kann nicht den gedanken selbst widerlegen.
räte als die träger der sozialistischen gemeinschaft sind
die beauftragten aller am allgemeinen werk beteiligten menschen, durch
die sich die gesamtheit der tätigen mit jeder einzelnen person in
den gesellschaftlichen lebensprozeß einschaltet. in einer von ausbeutung
befreiten zeit versieht ausnahmslos jeder mensch, der sich nicht etwa selbst
außerhalb des sozialen geschehens stellt, rätedienste. nur für
die zeit des revolutionären überganges müssen selbstverständlich
diejenigen von aller rätearbeit ferngehalten werden, gegen die sich
die revolution richtet. da es erste verpflichtung der räte ist, die
kapitalistische ausbeutung abzuschaffen und das sozialistische gemeinwesen
zu verwirklichen, können personen, die den sozialismus gar nicht wollen,
nicht zum aufbau des sozialismus herangezogen werden. in dieser zeit fällt
den räten die besondere aufgabe zu, die zwangsmaßregeln der
proletarischen klasse durchzuführen, die zur brechung gegenrevolutionärer
bestrebungen erforderlich sind und zu verhindern, daß sich unter
berufung auf gefährdungen der revolution neue regierungsgebilde auftun,
die von rätemacht reden, um ihre eigne macht dahinter zu befestigen,
und die von einer diktatur des proletariates sprechen, um selber diktatoren
spielen zu können.
die anarchisten tun gut, sich des ausdrucks diktatur des proletariates
so wenig wie möglich zu bedienen, obwohl bei richtigem
auffassen des rätebegriffs und ohne hinterhältigkeit kaum etwas
anderes darunter verstanden werden könnte als die niederhaltung von
widerständen gegen die proletarische revolution durch die proletarische
klasse. die zwangsmäßige unterdrückung gegenrevolutionärer
verschwörungen durch bewaffnete bekämpfung, revolutionsgerichte
und jede andere geeignete art von sicherungsmaßnahmen ist solange
nötig, wie die besiegte klasse noch über machtmittel verfügt
und angriffe auf die revolutionären rechte der arbeiterklasse zu befürchten
sind. eine revolutionäre diktatur von klasse gegen klasse ist im kampfzustand
unerläßlich, aber diese diktatur ist nichts anderes als die
revolution selbst. jedoch kann keiner revolutionären einzelperson,
keiner gruppe, keiner partei und keiner auslese der revolution das recht
zugestanden werden, sozialistische proletarier, sei es unter welchen vorwänden
immer, zu beherrschen und zu verfolgen. die marxisten verstehen unter diktatur
des proletariates die diktatur eines marxistischen parteivorstandes, dem
sie regierungsgewalt auch über die räte, das recht zur gesetzgebung,
zur steuererhebung und zu jeder art vertretung der revolution, bis zu kriegserklärungen
und verträgen mit auswärtigen staatsregierungen zuerkennen. dieser
parteiklüngel soll sich als herrschende macht angeblich nur bis zur
restlosen durchführung des sozialismus einnisten dürfen. da hingegen
jede zentralistische regierungsgewalt staat bedeutet, mithin vordrängung
von autorität, sonderstellung bevorrechtigter, anschlag gegen die
gleichheit, so ist solche diktatur nichts anderes als neue wegbereitung
für eine unterdrückende klasse, für neue ausbeutung und
für alle von der revolution beiseitegeräumten schäden. die
durchführung des sozialismus ist also unter solcher vorgeblich proletarischen
diktatur nie zu erreichen, und die neue macht wird nicht eher abtreten,
als sie nicht von einer neuen revolution zugunsten der räte endgültig
verjagt ist.
das rätesystem schafft, und hier zeigt sich seine übereinstimmung
mit den anarchistischen grundsätzen, bei unverfälschter anwendung
keinerlei beamtenschaft, keinerlei sonderanspruch einzelner, keinerlei
umfassende machtvollkommenheit. denn ein den räten von der gesamtheit
erteilter auftrag ändert in keiner weise das gleichwertige verhältnis
zwischen auftraggebern und beauftragten. die räteorganisation ist
die föderative zusammenfassung aller arbeitenden und verbrauchenden
kräfte vom engsten kreise der interessenberührung hinauf bis
zum weitesten ausmaß wirtschaftlicher verbindungen. in die räteorganisation
einbezogen ist jede einzelne persönlichkeit, und die entsendung dieses
oder jenes beauftragten zur wahrnehmung dieses oder jenes dienstes, zur
erörterung dieses oder jenes planes, zur beratung einer frage mit
örtlich entfernten rätevertretern, zur durchführung oder
überwachung eines von der gesamtheit nur notwendig befundenen oder
beschlossenen vorhabens, zur begründung einer meinung oder zur prüfung
eines entwurfs von andrer seite, räumt dem entsendeten kein vorrecht
vor denen ein, die ihn entsandt haben und entbindet auch keinen der auftraggeber
von der verantwortung für die tätigkeit des beauftragten. alle
aufträge bleiben an den willen derer gebunden, die ihn erteilen; wer
ihn erhält, ist nichts als ausführendes organ der körperschaft,
die ihm die teilarbeit überträgt, für die sie ihn geeignet
hält; er ist willensvollstrecker einer bestimmten gemeinschaft, der
er selbst angehört, und zwar willensvollstrecker für die bestimmte
einmalige aufgabe, die ihm übertragen ist. die ungeheure vielgestaltigkeit
des gesellschaftlichen lebens erfordert unzählige gesellschaftliche
dienstleistungen im kleinsten wie im größten, so daß die
aufteilung der gesellschaftlichen pflichten in fortwährendem wechsel
alle kräfte in anspruch nimmt, alle unter ständiger aufsicht
aller stehen, jeder selbstverantwortlich und gesamtverantwortlich die einheit
von gesellschaft und persönlichkeit gewährleistet, wodurch die
gleichberechtigung aller und die gegenseitige unterstützung in allen
gemeinsamen angelegenheiten gesichert wird. jede entsendung eines beauftragten
erfolgt unter dem vorbehalt der abberufung zu jedem zeitpunkt der dienstleistung,
jede übernahme eines dienstes ist freiwillig und erfolgt unter dem
vorbehalt des verzichts, falls sich der beauftragte der aufgabe nicht gewachsen
fühlt oder einen anderen nur die wahrnehmung des gemeinsamen wohles
geeigneter hält. somit sind alle wahlen, die einzelnen personen für
bestimmte zeit allgemeine vollmachten überantworten, zumal wenn sie
unter parteilichen gesichtspunkten erfolgen und von zentralen stellen außerhalb
der unmittelbar beteiligten arbeitergruppe beeinflußt werden, parlamentarische
veranstaltungen, die mit der räteorganisation der gesellschaft nicht
das mindeste zu schaffen haben. räte im kapitalistischen wirtschaftsverfahren
gibt es nicht: räte in der revolution bilden sich aus dem willen,
das politisch und wirtschaftlich notwendige von den arbeitsstätten
aus und unter ausschaltung regierender beamter in freiwilliger gegenseitiger
verständigung der revolutionäre selbst zu tun; räte nach
dem siege der revolution sind die beschließenden und verwaltenden
organe der gesamtheit, die die ganze gesellschaft umfassen und das gefüge
der ganzen gesellschaft zusammenhalten.
der aufbau der räteorganisation stellt also keinerlei fragen
der wahlberechtigung oder der wählbarkeit, der direkten und indirekten
oder der verhältniswahl. solange die revolution noch um ihren bestand
zu sorgen hat, beschränkt sich die teilnahme an der bestimmung des
öffentlichen geschehens allerdings auf die sozialisten, die die revolution
unter allen umständen direkt zu ihren letzten zielen der von räten
versehenen ordnung der freiheit in der klassenlosen gesellschaft vorzutreiben
entschlossen sind. sie müssen sich von den betrieben und von den wohnbezirken
aus unter völliger zurückstellung aller früheren richtungszwistigkeiten
und unter entschiedenster ausschaltung aller zudrängenden einmischungen
von gelernten politikern und autoritären besserwissern nach der gemeinsamkeit
ihres einfluß- und tätigkeitsgebietes zusammenfinden und die
beratungen und pflichtverteilungen vornehmen, die der pflege des neuen
geistes und der einführung der neuen gesellschafts- und wirtschaftsformen
dienlich sind. dazu gehört die ineinandergreifende wirksamkeit von
arbeiter- und bauernräten zur sicherstellung der allgemeinen versorgung,
wie überall erzeuger und verbraucher gemeinsames vorgehen bei der
wirtschaftsführung anstreben müssen. auf dem lande muß
durch aufklärung und werbung, keinesfalls aber mit gewaltsamer bekehrung
von den städten aus der rätegedanke einleuchtend gemacht werden,
dergestalt, daß vor der ermöglichung sozialistischer gleichheit
die eroberung der räte als stützpunkte für das wirtschaftlich
überlegene großbauerntum verhindert wird. wo noch ausbeutung
in irgendeiner form stattfindet, dürfen die räteorgane nur werkzeug
der ausgebeuteten und benachteiligten sein, müssen also, soweit es
sich um bauernräte handelt, vor allem die kleinbauern, die landarbeiter
und die dorfarmen umfassen. die städtischen arbeiter haben beim aufbau
der rätegesellschaft besonders darauf bedacht zu nehmen, daß
der föderalistische charakter der sozialistischen organisation von
allem anfang an aufmerksam beobachtet wird. ein rätestaat, der eine
zentrale überstülpung der räteorgane in bestimmten gebietsgrenzen
vornimmt, mißbraucht die räte zu ihrer eigenen entrechtung und
vernichtung. eine rätegesellschaft, eine räterepublik - das wort
republik bezeichnet keineswegs ohne weiteres eine staatsform sondern jede
selbstverwaltung eines gemeinwesens durch das volk - eine rätewirtschaft
ist nur als föderatives gebilde zu denken und kann niemals ein staat
sein oder in einem staatsganzen platz finden.
die räterepublik baut sich von unten nach oben auf ihr eigentlicher
drehpunkt sind die städtischen und dörflichen ortsräte.
sie können je nach verhältnissen und bedürfnis in gelegentlich
oder regelmäßig zusammentretenden einwohnerversammlungen die
tätigkeit der betriebs- oder ortsbezirksräte zur kenntnis nehmen,
erörtern, bemängeln, erweitern und zur grundlage eigener beschlüsse
machen. sie können für einzelne zwecke ausschüsse einsetzen,
die teilfragen behandeln und von sich aus unter allgemeiner wachsamer kontrolle
einzelpersonen mit der erledigung gebundener aufträge betrauen mögen.
sie werden die gesundheitlichen, baulichen, verkehrstechnischen fragen
der stadt oder des dorfes entscheiden, die schul- und rechtsangelegenheiten,
den schutz der allgemeinen einrichtungen, kurz alles unter sich abmachen,
was natürlicherweise von den unmittelbar beteiligten und betroffenen
an ort und stelle erfüllt werden kann. zum beispiel: die justiz im
staate kann niemals recht schaffen, weil sie nach zentralen anweisungen
zentrale behörden über individuelle handlungen aburteilen läßt.
gerechtigkeit kann nur da an der rechtsprechung teilhaben, wo die sozial
schuldig gewordene persönlichkeit von ihresgleichen, mit den räumlichen
und seelischen voraussetzungen der tat vertrauten menschen ohne bindung
an einförmige vorschriften vernommenen, überführt und notfalls
an weiteren schädigungen des allgemeinen wohls verhindert wird. in
der räterepublik steht der gleiche vor gleichen, vor nachbarn und
genossen. von der gemeinde aus erstrecken sich die räteverbindungen
über die nachbargebiete, über provinzen und länder und ohne
nationale einschränkung über den erdkreis. da mögen regelmäßige
rätekongresse in provinziallandtagen oder gewerklichen oder sonst
von sonderbestrebungen geleiteten reichs- und weltzusammenkünften
die jeweils tagesnotwendigen vereinbarungen treffen,—der rätegedanke
wird dadurch zur geltenden verhandlungsform erhoben, daß jeder abgesandte
nichts als willensträger seiner örtlichen, beruflichen oder im
zielstreben verbundenen entsender ist, denen er dauernd zur rechenschaft
verpflichtet bleibt, die ihm ihren auftrag jederzeit entziehen und einen
andern an seine stelle berufen können. in der zeit des revolutionären
überganges werden die örtlichen räte und die rätekongresse
mehr als späterhin gezwungen sein, den gewandteren, rednerisch und
organisatorisch begabteren einzelnen zur gewinnung der noch schüchternen,
staatlich verkümmerten, im selbstvertrauen ungeübten menschen
eine nicht ganz ungefährliche rädelsführerschaft zuzugestehen.
da wird es sache der anarchisten sein, aufzupassen, daß hieraus keine
autorität, keine machtführerschaft, kein mißbrauch entsteht,
und daß der revolutionäre geist nie seine sendung vergißt,
der geist der freiheit zu sein.
es wäre ein unsinniges beginnen, über die sichtbarmachung
des vorgestellten gesamtbildes einer rätegesellschaft hinweg das ganze
räderwerk ihrer organisation aus allen einzelteilen zusammenbasteln
zu wollen. die verwirklichung einer idee gleicht selbst im vorbildlichsten
falle niemals den träumen ihrer vorkämpfer. es muß daher
genügen, nur das verstehen einer freiheitlichen ordnung in der kommunistischen
anarchie die wichtigsten grundbedingungen des rätewesens gegenwärtig
zu haben. die zusammensetzung der räte geschieht nach den natürlichen
arbeits- und lebensbeziehungen. der arbeiterrat einer industriellen anlage,
der zunächst wesenseins ist mit der gesamtbelegschaft, regelt im werk
selbst die verteilung der pflichten nach der art der beschäftigung,
berücksichtigt aber im falle etwa der beschlußfassung über
einen anbau die wünsche und bedenken aller verschiedenen tätigkeitsgattungen
die mit dem betriebe unmittelbar oder mittelbar verbunden sind. es hätte
also ein betriebsrat sich zu bilden, dem vertreter aller abteilungen des
werkes, der handarbeiter und der buchhalter, der pförtner und der
fenster- und treppenreiniger anzugehören hätten, dazu bautechniker
und maurer, arbeiter von werken, die mit dem betreffenden betrieb in ständiger
verbindung stehen, gesundheitliche gutachter, frauen und mädchen,
die irgendwie besondere interessen an dieser oder jener festsetzung haben
können, vertreter der gemeinde, in deren bezirk der bau entstehen
soll, und wer sonst anlaß haben möchte, die sache der seinen
bei dem plan zu verfechten oder seinem rat nutzbar zu machen. in angelegenheiten
eines krankenhauses haben billigerweise mitzureden ärzte und pflegepersonal,
hausbetreuer und leichenbesorger, kranke und deren angehörige, architekten
und handwerker. die anlage einer landstraße geht die anrainer an,
die nachbargemeinden, alle die vorteil von dem bau erhoffen und die schaden
von ihm befürchten, ferner ingenieure, arbeiter, geometer, elektrizitäts-
und wasserbautechniker, alle, die am entwurf und an der ausführung
beteiligt sind, alle, die die örtlichen verhältnisse beurteilen
können, alle, die die straße begehen und befahren werden. hier
bildet sich ein rat aus vertrauenspersonen aller dieser interessierten,
nur den besonderen zweck, unter ständiger kontrolle arbeitend, jeder
einzeln, gruppenweise oder im ganzen von den interessierten jederzeit abberufbar
und ersetzbar. es scheint nicht nötig, weitere beispiele einer solchen
gestaltung der öffentlichen dinge vorzuführen. jeder vermag selbst,
dieses verfahren der beteiligung aller an allem in der anwendung auf sämtliche
gesellschaftliche notwendigkeiten weiterzudenken und einzusehen, daß
bei freiheitlichem willen dies in der tat das system ist, um die ackerbestellung
und den warenaustausch, die angelegenheiten des verkehrs und die der geistespflege
im engen kreise wie in weitem umfange, von der verständigung einiger
nachbarn bis zur weltföderation in gang zu halten und jeden zum sachwalter
aller, alle zu sachwaltern jedes einzelnen zu machen bei voller gleichberechtigung,
bei voller freiwilligkeit, ohne vorrang und macht.
hat man das wesen der räte so als den inbegriff des lebendigen
zusammenklangs von persönlichkeit und gesellschaft begriffen, dann
verliert die frage, ob die forderung: alle macht den räten! von
anarchisten erhoben werden dürfe, jeden inhalt. vielleicht ist es
nicht günstig, das wort macht in irgendeinem zusammenhange anzuwenden.
doch ist diese forderung ja gerade in der bedeutung entstanden, daß
jede staatsmacht gebrochen werden soll, daß alle bestimmende und
ausführende gewalt von der revolution, also von der revolutionären
klasse, von der arbeiter- und bauernschaft, und von deren revolutionären
organen, den räten, die wiederum die gesamtheit der werktätigen
verkörpern, übernommen werden soll. mit dem lebendigwerden des
sozialismus schwinden die klassen, und der zwang der revolution gegen die
ihr widerstrebenden gegenrevolutionäre der besiegten klasse vermindert
sich stufenweise fortschreitend bis zur völligen rechtsgleichheit
aller und ihrem zusammenwirken in den räten. die macht aller, ohne
unterschied an der aufrichtung der staatlosen kommunistischen gesellschaft
schaffenden, und dies wäre eben die rätemacht, ist natürlich
keine macht mehr, da niemand da ist, über den sie geübt würde.
die losung ist immerhin besser als die der proletarischen diktatur, obwohl
beide dahin gedeutet werden können, daß die proletarische klasse
im revolutionären kampf keine einwirkung kapitalistischer kräfte
auf das öffentliche geschehen dulden wird. da das bekenntnis zur diktatur
des proletariats aber das unterscheidende merkmal aller staatssozialisten
geworden ist, die auch praktisch die herrschgewalt eines parteiklüngels
daraus gemacht haben, und da die losung "alle macht den räten!" nur
noch von autoritätsfeindlichen sozialisten ausgegeben wird, ist die
sorge, hier solle die gestürzte macht durch eine neue macht ersetzt
werden, überflüssig. doch wäre es, um jede verwirrende deutung
auszuschließen, geraten, die anarchisten einigten sich auf die losung
"alles recht den raten!" - oder auch alles den räten alles durch die
räte, oder, was wiederum dasselbe ist: "alles für alle durch
alle!"
der weg zur anarchie führt nur über anarchistisches
verhalten. denn wirklichkeit wächst allein aus verwirklichung. das
gilt für die denk- und tatarbeit zur bereitmachung der wirtschaft,
das gilt in erhöhtem maße für die bereitmachung der geister.
sollen aus den menschen räte werden, in gegenseitigem vertrauen gleichberechtigt
ratholende und ratgebende tatbereite und zur tat vereinigte, dann muß
die revolution woanders reifen als in dem bloßen glauben, daß
sich der kapitalismus auf die dauer nicht gegen den hunger und das elend
der menschen werde behaupten können. er wird sich behaupten, solange
er keinen widerstand findet, der sich gegen seine sittlichen grundlagen
richtet, gegen die autorität und ihre verkörperungen, staat,
kirche, gesetz und familie. ein solcher widerstand aber kommt nicht aus
verabredungen irgend welcher art, er kommt nicht aus wissenschaftlichen
lehren und nicht aus noch so kluger taktik, er kann nirgends herkommen
als aus dem beleidigten gewissen des sozial bewegten menschen. zu den aufgaben
der anarchisten gehört es daher, die gefühle der gerechtigkeit
und der freiheit, die jedem menschen angeboren sind, aber dank der autoritären
erziehung durch kirche, schule und militär und vor allem durch die
vaterschaftsfamilie großenteils verschüttet unter dem bewußtsein
liegen, wachzurütteln. an den anarchisten ist es, begreiflich zu machen:
nicht die not ist das schlimmste, sondern daß sie ertragen wird!
denn das hinnehmen von armut, während es reichtum gibt, ist geistiges
versagen, ist unempfindlichkeit der seele gegen die beleidigung, werte
schaffen zu müssen, an deren genuß der schaffende keinen anteil
hat, und von denen, für die sie geschaffen werden, unter hungerdruck
das recht erbetteln zu müssen, zu solch ertraglosem schaffen überhaupt
zugelassen zu werden. voraussetzung jedes kampfes gegen die beschimpfung
des menschen durch die vorenthaltung der produktionsmittel und durch die
staatssklaverei ist in viel höherem maße als die kenntnis von
entwicklungsgesetzen und ökonomischen zusammenhängen der freiheitliche
stolz, der den ehrbegriff der anarchisten umschließt. nur
wenn stolz, innere freiheit und musterhafte sauberkeit sich im benehmen
der anarchisten untereinander und in der beziehung zu den vertretern anderer
ansichten offenbaren, ist hoffnung, daß die befreiung der gesellschaft
vom staat gelingen und zum aufbau einer föderalistischen, autoritätslosen
räterepublik führen kann. anarchie ist nur von anarchisten zu
schaffen; die anarchisten der gegenwart, mögen ihrer viele oder wenige
sein, müssen die grundsätze der anarchie täglich und stündlich
zur geltung bringen, soll die zukünftige volksgemeinschaft anarchie,
sollen die menschen der zukunft anarchisten sein. darum muß in den
verbindungen und verständigungen der anarchisten zur vorbereitung
neuer lebensverhältnisse auf strenge gerechtigkeit im gegenseitigen
verhalten gesehen werden. nie darf sich ein einzelner von seinen bevorzugten
gaben als redner, lehrer, organisator, anreger verleiten lassen, alle initiative
an sich reißen zu wollen. nie darf sich eine mehrheit herausnehmen,
die rechte der minderheit zu schmälern. das ziel ist eine gemeinschaft,
die weder mehrheiten noch minderheiten, noch faule ausgleichungen zwischen
beiden kennt, wobei niemand zufriedengestellt wird; das ziel ist eine gemeinschaft,
die überall einstimmige entschlüsse ermöglicht, weil sie
jeder persönlichkeit erlaubt, sich an der gemeinsame ganze zu fügen.
freiwillige bindung durch vertrag und kameradschaft läßt solche
übereinstimmung aber in wollen und handeln in jeder vereinigung und
genossenschaft zu, und der genossenschaftliche geist, den die anarchisten
untereinander pflegen, wird den genossenschaften und freiwilligen übereinkünften
in kultur und wirtschaft der zukunft die wege zeigen und sie zugleich ebnen.
erst recht muß das verhalten der anarchisten in der ideologischen
bekämpfung entgegengesetzter meinungen vorbildlich ehrenhaft sein.
schmutzige kampfmittel, verdächtigungen, verleumdungen, krumme pfade
zur irreführung von genossen und feinden schädigen unter allen
umständen die überzeugende stoßkraft einer idee, deren
stärke ihre reinheit ist. die autoritären marxistischen parteien
legen auf die moral im kampfe keinen wert. sie geben von oben herunter
an ihre anhänger richtlinien des verhaltens aus, durch die sie glauben
zucht und gehorsam am besten sichern zu können. die befolgung dieser
nach umständen auswechselbaren vorschriften nennen sie proletarische
disziplin, jede persönliche gewissensprüfung vor der eröffnung
eines kampfes um gesinnungen lästern sie als bürgerliches vorurteil.
mit dieser art unterscheidung von proletarischer und bürgerlicher
moral wird der gefährlichste und verwirrendste unfug getrieben.
bürgerlichkeit bezeichnet nichts anderes als den gesamten ideengehalt
der durch die kapitalistische wirtschaftsweise geschichtlich bestimmten
gesellschaftsform. durch die übersteigerung der kapitalistischen ausbeutungsformen
und die hochzüchtung des imperialismus, das ist die aussaugung abhängig
gemachter fremdgebiete für gewinnzwecke der kapitalisten des erobernden
staates, hat sich der ideengehalt der gegenwärtigen gesellschaftsform
teilweise derartig entsittlicht, daß die auf sozialem rechtsgefühl
gegründete natürliche moral der menschen revolutionäre abhilfe
heischt. wird unter proletarischer moral die moral der gleichheit und gegenseitigkeit
verstanden, die sich der unsozialen macht mit dem revolutionären zorn
des beleidigten und entrechteten entgegenwirft, so ist hier die sittliche
unterscheidung von einer bürgerlichkeit am platze, die da meint, ihre
eigennützigen versklavungsmethoden mit jeder roheit, jeder tücke
und jeder seelischen verknechtung verteidigen zu dürfen. wird aber
den proletariern gesagt, in ihrem kampfe gegen unterdrückung und schändung
seien lüge und verleumdung, hinterlist, doppelzüngigkeit und
verräterei erlaubte und gegebenenfalls sogar innerhalb der eigenen
richtungskämpfe gebotene klassenwerkzeuge, so kann nicht vernehmlich
genug betont werden, daß hier die verfallsmoral des bürgertums
blasen treibt, gerade die verfallsmoral, die die revolution gegen das bürgertum
notwendig macht. in gewaltsamen auseinandersetzungen bestimmt der feind
die waffen, die gegen ihn gebührt werden müssen. aber da werden
die waffen offen getragen, und die moral ist bei dem teil, der für
die gerechtere sache kämpft. im ideenkampfe dagegen ist die moral
bei dem teil, der ohne falsch ist und die fahne der reinen überzeugung
vor sich herträgt. die anarchisten weisen eine moral weit von sich,
die die ursprünglichen begriffe von recht und unrecht verleugnet.
das ist keine proletarische moral, das ist arglist und untreue, die auch
nicht wesensmerkmal der bürgerlichkeit schlechthin ist, sondern ausdruck
ihrer verdorbenheit im bloßen materialismus. soll das proletariat
die erneuerung des menschlichen rechtes bringen, so muß es das recht
zu seiner sendung in seinem sittlichen verhalten pflegen und bereit finden.
die zentralistischen parteien indessen sammeln proletarier um sich, denen
sie mit schönen worten zum munde reden; aber hinter ihren worten verbergen
sich machtabsichten, und diese machtabsichten verdecken lügen, die
die arbeiter zu ganz andern zwecken in den kampf vor treiben als sie selbst
denken. diese parteien erklären lügen und hinterhältigkeiten
für einwandfreie list und betrügen, indem sie die kämpfer
zu betrug verführen, die kämpfer selbst. den abscheu dagegen,
daß man mißerfolge zu erfolgen umlügt, verspotten sie
als bürgerlich. da es aber noch viele bürger gibt, in denen das
gerechtigkeitsgefühl keineswegs abgetötet ist, die daher aus
ihrem natürlichen empfinden heraus im augenblick der entscheidung
einer von idealen getragenen revolution leicht gewonnen werden könnten,
stärkt die sittliche unzuverlässigkeit bei den proletariern die
herrschende klasse sogar moralisch, stößt die menschlich sauberen
vom bündnis mit dem proletariat zurück und zersplittert die arbeitende
klasse durch gegenseitiges mißtrauen und erbärmlichen bruderzwist.
die lüge ist die natürliche notwehr machtloser um die möglichkeiten
der macht einzudämmen und der autorität auszuweichen. kinder
belügen ihre eltern, eheleute belügen einander, schüler,
rekruten, untergebene, fromme belügen die lehrer, feldwebel, vorgesetzten,
geistlichen, weil sich ein gesundes freiheitsgefühl gegen die zumutung
aufbäumt, rechenschaft in dingen ablegen zu sollen, die man mit sich
selbst abzumachen hat. da sündigt nicht der lügner, da sündigt
der belogene gegen die wahrheit, denn wo macht ist, findet die wahrheit
keine luft zum atmen. wo aber gelogen wird, um macht zu erringen, da ist
die lüge ein anschlag auf die freiheit, und die revolution wird den
sozialisten die aufgabe stellen, nicht allein die machthaber des alten
systems zu vertreiben, sondern die führer des proletariats zur rechenschaft
zu ziehen und keinen von ihnen zur mitarbeit am neuen werden zuzulassen,
der je die menschen getäuscht hat, welche ihm glauben schenkten, wenn
er von freiheit sprach, der je die versicherung abgab, er sei nur dienendes
organ seiner auftraggeber und den vorbehalt verschwieg, daß er es
war, um ihr beherrscher zu werden.
duldsamkeit untereinander und wahrhaftigkeit gegen alle ist bedingung
zum siege. die ordnung der freiheit hängt ab von der aufrichtigkeit
aller, die die freiheit errichten wollen. aus lippenbekenntnissen entsteht
keine neue welt. die anarchisten, die die neue welt der freiheit, der gleichheit,
der gegenseitigkeit, der gerechtigkeit, der wahrhaftigkeit und der verbundenheit
aller mit allen schaffen wollen, müssen ihre bekenntnisse in taten
kleiden. das heißt, sie müssen ihr leben führen, wie sie
wünschen, daß es in der staatlosen gesellschaft des kommunismus
von allen zu führen sei. die forderung ist nicht, daß jemand
aus der kapitalistischen fron ausbrechen sollte oder könnte: das joch
des staates kann nur in gemeinsamem kampf gebrochen werden. daher ist die
verletzung der staatsgesetze keine forderung des täglichen lebens.
aber eine heiligkeit der gesetze gibt es so wenig wie eine heiligkeit des
eigentums. hochachtung vor den gesetzen und den staatsmächten kann
von niemandem verlangt werden. für den anarchisten ist das gesetzbuch
ein fahrplan, um in der gesellschaft die nötigen anschlüsse zu
finden, mit dem er bis zur revolution wohl oder übel leben muß,
weiter nichts. aber der anarchist geht keine freiwilligen verpflichtungen
ein, die seine selbstbestimmung beeinträchtigen oder ihn einer autorität
unterwerfen können. er hat in keiner kirche etwas zu suchen und bekleidet
keine staatlichen ehrenämter. wird er gezwungen, als geschworener
oder schöffe den richter über andere menschen zu spielen, so
urteilt er nach seinem sozialen gewissen, das dem staat das recht bestreitet,
unglückliche zu bestrafen, die über die vom kapitalismus gelegten
fallstricke gestrauchelt sind. soll er gezwungen werden, in den krieg zu
gehen, um nur fremden vorteil seinesgleichen zu töten, so weigert
er sich, es zu tun und stirbt lieber für die eigene überzeugung
als für das geschäft seiner quälgeister. in seinem hause
übt er keine autorität, noch duldet er sie. in den dingen des
geschlechts geht er die wege, die er für richtig hält, ohne sich
darum zu kümmern, welche wege andere menschen gehen. keine frau gehört
einem mann, kein mann gehört einer frau. was zwei mündige menschen
in der verschwiegenheit tun, um einander zu erfreuen, ist niemals sache
eines dritten, nicht des ehemanns noch der ehefrau nicht des nachbars noch
des genossen, nicht der kirche noch des staates. anarchist und anarchistin
sind nicht beherrscher ihrer kinder, sondern ihre kameraden und helfer.
wer seine kinder prügelt, mißbraucht seine körperliche
überlegenheit zur errichtung eines machtverhältnisses, festigt
dadurch die macht und autorität von staat und kapital und verseucht,
indem er den machtwahn in sein kind hineinschlägt, auch das geschlecht
der zukunft. der anarchist glaubt nicht an götter noch an gespenster,
nicht an priestersprüche noch an die behauptungen der wissenschaftler,
die er selbst nicht nachprüfen kann. er fragt nicht nach dem klatsch
der straße noch nach der mode in den angelegenheiten der kunst und
der weltanschauung. er geht seinen weg geradeaus, verantwortlich sich und
seinem gewissen, verantwortlich der menschheit, die er eins weiß
mit sich und seinem gewissen. er tut das rechte da er weiß, was recht
ist. denn recht und freiheit ist das gleiche, wie gesellschaft und persönlichkeit
das gleiche ist. aus dem recht wächst die gleichheit des kommunismus,
aus der gleichheit die freiheit der anarchie!
!!! FIGHT SEXISM!!!!!
SMASH PATRIARCHY !