BEWAFFNE DEN GEIST!
revolutionier deinen alltag...
ehrich mühsam
die befreiung der gesellschaft vom staat
was ist anarchistischer kommunismus?
1933 - sonderheft des fanal (berlin)
vorwort
im juli 1931 verbot der berliner polizeipräsident, der sozialdemokrat
grzesinski, die anarchistische zeitschrift fanal auf die dauer von
vier monaten. das war der monat der bankzusammenbrüche; das finanzkapital
war am ende seiner künste, die reichsregierung stoppte den geldumlauf
ab, die gesamte unternehmerwirtschaft wurde in einem maße erschüttert,
daß die bisher gebräuchlichen politischen methoden zur sicherung
der kapitalistischen herrschaft nicht mehr ausreichten; der weg zur faschistischen
diktatur wurde verbreitert, ausgewalzt und beschritten. das massenelend
wuchs, mit ihm die hilflosigkeit der öffentlichen ämter, und
zugleich wuchsen die ansprüche der industriellen und großgrundbesitzer;
die krise wurde mit verschärftem druck auf die arbeiter und erwerbslosen
bekämpft, ihre opfer mit wahlen, wahlen und wahlen beschwichtigt.
die parteien suchten im schaden ihrer anhänger den nutzen ihrer führerschaften.
eine neue regierung, zusammengeholt aus der erbmasse verkrachter feudalzeiten,
führte verfassungsstreitigkeiten herauf, die luft des bürgerkrieges
legte sich drohend auf deutschland; alle versuche, druck und verzweiflung
zu bannen, alle heilmittel, von faschisten und demokraten, kirchlichen
und rechts- wie linkssozialisten beschwörend empfohlen, kamen aus
der apotheke der autorität. jeder pries seinen staat, seine berufung
zur macht, sein autoritäres system.
der kampf der anarchistischen monatsschrift fanal aber gegen
zentralismus und obrigkeit, für freiheit und erneuerung war unterbrochen.
nur gelegentliche rundbriefe konnten die freunde des blattes verständigen,
daß der schlag, der es nach fast fünf jahren regelmäßigen
erscheinens getroffen hatte, zwar noch nicht verwunden war, aber doch nicht
tödlich gewirkt hatte. in allen diesen rundschreiben konnte nur flüchtig
auf die allgemeine lage geblickt werden. im übrigen waren es bettelbriefe,
um die mittel herbeizuschaffen, die nötig waren, um den schlafenden
nicht sterben zu lassen. als beweis dafür jedoch, daß wir fanal
niemals preisgegeben haben und nicht preisgeben wollen, kündigten
die briefe das erscheinen der broschüre an, die den ausfall der zeitschrift
teilweise ausgleichen sollte und die hiermit der öffentlichkeit übergeben
sei.
die schrift erscheint als sonderheft des fanal, um das fortbestehen
unsres blattes zu bekunden; sie erhält zugleich den zuschnitt einer
selbständigen werbeschrift, um ihr über den kreis der leser und
freunde des fanal hinaus verbreitung zu schaffen. eine arbeit, die
als ersatz nur eine am erscheinen verhinderte, dem tagesgeschehen angepaßte
zeitschrift den augenblick überdauern möchte, kann sich nur mit
der welt- und lebensanschauung befassen, welche den geist der zeitschrift
bestimmt hat und weiter bestimmen soll. dem anarchisten war also die aufgabe
gestellt, die grundzüge seines anarchistischen lehrgebäudes zu
entwerfen. das habe ich versucht.
immer wieder hören wir die frage von personen, denen die gedankenwelt
des anarchismus nicht vertraut ist: was wollt ihr eigentlich? wie stellt
ihr euch eine gesellschaft ohne staat und obrigkeit vor? liegt nicht in
der bezeichnung "kommunistischer anarchismus" ein innerer widerspruch?
darauf wollte ich einigermaßen umfassend und in nicht schwer verständlicher
form kurzen bescheid geben. den eigenen genossen wollte ich gleichzeitig
ein bild der anarchistischen gedankenwelt zeichnen, das jeder nach seiner
neigung ergänzen oder einschränken mag und an dessen linien er
seine ansichten überprüfen und befestigen kann.
auf geschichtliche beweisführung und wissenschaftliche unterbauung
der hier vorgetragenen gedanken habe ich verrichtet, auch davon abgesehen,
ältere anarchistische schriften zur stützung und vergleichung
meiner meinung heranzuziehen. kein gedanke wird dadurch richtiger, daß
schon ein andres ihn früher geäußert hat. auch glaube ich,
daß es der lebendigkeit meiner beweisführung am zuträglichsten
ist, wenn ich sie ausschließlich in meine eigenen worte fasse. daher
findet siel in der vorliegenden arbeit kein einziges zitat, außer
dem an die spitze gestellten satz wielands, der, vor 150 jahren geschrieben,
beweisen soll, wie natürlich den besten geistern aller zeiten anarchistische
gedankengänge sind.
wer sich mit den lehren des anarchismus schon beschäftigt hat,
wird neue einsichten in dieser broschüre kaum finden. höchstens
die bisher noch nirgends versuchte darstellung des rätewesens als
erfüllung anarchistischer verwaltungsgrundsätze werde ich als
selbständigen beitrag zur ideenwelt des freiheitlichen sozialismus
für mich in anspruch nehmen dürfen. im übrigen kam es mir
auf die übersichtliche zusammenfassung und die verdeutlichung der
folgerichtigen einheitlichkeit des ganzen anarchistischen gedankengebäudes
an. die außerordentlich reiche literatur des anarchismus ist eine
solche übersichtliche schrift bisher schuldig geblieben. sie behandelt
jedoch in überaus mannigfaltiger weise die geschichtlichen, philosophischen,
wirtschaftlichen, naturrechtlichen und kämpferischen sonderfragen
unter dem gesichtspunkt autoritätsfeindlichen denkens. die leser,
die sich näher unterrichten wollen, seien daher eindringlich auf die
im anhang dieses heftes zusammengestellte literatur-übersicht verwiesen.
berlin-britz, im november 1932
erich mühsam
!!! FIGHT SEXISM!!!!!
SMASH PATRIARCHY !